„Historische Verantwortung“ Nachfahren von NS-Verfolgten sollen leichter einen deutschen Pass bekommen

Berlin · Juden, Kommunisten oder Sinti und Roma: Die Nazis verfolgten sie mit grausamer Härte. Viele Menschen verloren damals die deutsche Staatsbürgerschaft oder flüchteten schon vorher. Ihre Nachkommen sollen nun leichter einen deutschen Pass bekommen.

  Ein Reisepass der Bundesrepublik Deutschland.

Ein Reisepass der Bundesrepublik Deutschland.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Nachfahren von Verfolgten der Nazizeit können künftig leichter einen deutschen Pass bekommen. Das Bundesinnenministerium will an diesem Freitag zwei entsprechende Erlasse in Kraft setzen. Deutschland müsse seiner historischen Verantwortung gerecht werden, erklärte Innenminister Horst Seehofer (CSU) am Donnerstag in Berlin. „Das gilt insbesondere für Personen, deren Eltern oder Großeltern ins Ausland flüchten mussten.“ Sein Ministerium kann die beiden Erlasse im Gegensatz zu einem Gesetz im Alleingang beschließen, sie gelten sofort.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte die neuen Regelungen. „Verfolgte und ihre Nachkommen, die bislang aufgrund der zumindest moralisch ungerechten Rechtslage von der Einbürgerung ausgeschlossen waren, erhalten nun unter vereinfachten Bedingungen die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen“, sagte Zentralrats-Präsident Josef Schuster der Deutschen Presse-Agentur. „Damit wird endlich eine Gerechtigkeitslücke geschlossen.“

Insbesondere im Vorfeld des geplanten EU-Austritts Großbritanniens sind die Anträge auf Einbürgerung von Nachkommen NS-Verfolgter wieder deutlich angestiegen. Nach 43 Anträgen im Jahr 2015 waren es 2018 dem Ministerium zufolge schon 1506 Anträge, nach einer vergleichbar hohen Zahl im Vorjahr. Bei einem Referendum in Großbritannien im Sommer 2016 hatte die knappe Mehrheit der Teilnehmer für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt.

Wer als Nachfahre von NS-Opfern die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben möchte und im Ausland wohnt, kann sich an eine deutsche Auslandsvertretung wenden. Menschen mit Wohnsitz in Deutschland können auf regulärem Weg einen deutschen Pass beantragen, für sie gilt die Neuregelung nicht.

Der Antrag ist kostenlos, andere Staatsangehörigkeiten kann man behalten. Betroffene müssen nachweisen, dass ihre Vorfahren während der Nazi-Diktatur zwischen 1933 und 1945 verfolgt wurden oder zu Gruppen gehörten, die verfolgt wurden. Das kann Nachfahren von Juden betreffen, von Sinti und Roma, psychisch Kranken oder auch von Kommunisten oder anderen politischen Gegnern der Nationalsozialisten.

Neu ist, dass auch Nachfahren von Menschen, die ausreisten, bevor ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden konnte, leichter einen deutschen Pass bekommen sollen. Dies war bislang für Menschen, die nach 1971 geboren wurden, nicht mehr möglich. Zudem sollen auch Kinder Verfolgter profitieren, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 geboren wurden - sie waren bisher nicht erfasst.

Das Ministerium will zudem eine Lücke schließen, die auf eine frühere Regelung im deutschen Recht zurückging, die etwa eheliche Kinder zwangsausgebürgerter deutscher Frauen und ausländischer Väter schlechter stellte. Es geht um Menschen, die vor dem 31. März 1953 geboren wurden - bis dahin konnte die deutsche Staatsangehörigkeit nur durch den Vater vererbt werden. Auch diese Gruppe soll nun von den neuen Regeln profitieren.

Einfache Kenntnisse der deutschen Sprache und Lebensverhältnisse genügen, sie sollen im persönlichen Gespräch festgestellt werden. Dabei „ist eine wohlwollende Handhabung zugrunde zu legen“, heißt es in den beiden Erlassen. Wer schwere Straftaten begangen hat, hat indes schlechtere Chancen. Terroristen sind gänzlich ausgeschlossen.

Der leichtere Zugang zum deutschen Pass soll indes nicht unbegrenzt gelten. Kinder von Nachkommen NS-Verfolgter, die ab dem Jahr 2000 geboren wurden, sollen die Erleichterungen zwar nutzen können. Deren bereits geborene Kinder können aber nur mit eingebürgert werden, wenn sich die Eltern bis zum 1. Januar 2021 für eine Einbürgerung entscheiden.

Vertreter von Betroffenen, die sich nach der relevanten Regelung im Grundgesetz „Article 116 Exclusions Group“ nennen, reichen die Neuerungen nicht aus. Zwar seine die Erleichterungen hilfreich, sagte Sprecher Nick Courtmann der Zeitung „Die Welt“. „Aber eine ernste und echte Lösung des Problems kann nur eine Gesetzesänderung sein. Nur so wird den Betroffenen Rechtssicherheit geboten.“

(zim/dpa)
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