Kolumne: Gott Und Die Welt Wenn der Mensch seine Verantwortung entsorgt

Technischer Fortschritt zeigt uns, wie mangelhaft wir sind. Für viele ist das eine Einladung zur Entpflichtung. Dabei braucht unsere Zeit vor allem verantwortliche, mitfühlende Menschen.

 Unser Autor Lothar Schröder.

Unser Autor Lothar Schröder.

Foto: Schröder

Eigentlich wissen wir alles. Oder könnten es, wenn wir wollten. Die Welt scheint dank so leicht zugänglicher Informationen durchschaubar, erklärbar und verfügbar geworden zu sein. Was also tun mit all unserer Macht? Die Antwort gibt die Macht selbst - genauer das, was uns im wahren Sinne des Wortes bemächtigt: der technische Fortschritt. Denn er strebt danach, immer mächtiger zu werden. Fortschritt gibt sich immer erst wertfrei und stellt sich dar als ein Wert an sich. Bis der Schöpfer dieser Technik zu ihrem Geschöpf wird, ihrem Objekt. Aus dem Humanismus erwächst zunehmend ein Transhumanismus. Wir überschreiten die Grenzen unserer menschlichen Möglichkeiten, allerdings nur mit Hilfe der Technik.

So segensreich Höchstleistungen jenseits des Menschlichen sein können, so erbringen sie doch stets den bedauerlichen Beweis unserer Grenzen und Beschränktheit. Mit der Mängelliste tritt der Mensch in den Hintergrund. Das könnte uns demütig machen und vielleicht auch Anlass dazu geben, über unser sogenanntes Menschsein nachzudenken. Das Gegenteil droht der Fall zu sein. Der Karlsruher Physiker und Philosoph Armin Grünwald glaubt, beim Menschen eher eine Art Erleichterung auszumachen: von der Entsorgung unserer Verantwortung. Der Mangel wird dann zum Freispruch und zur Einladung, im Konsum so etwas wie eine Lebensform und in der Unterhaltungsindustrie einen Ort unseres Zeitvertreibs zu finden. Auch das kann eine menschliche Existenz sein; Belanglosigkeit wird zu ihrem Ziel. Das Mängelwesen Mensch versucht aber nicht nur, Verpflichtungen zu vermeiden, sondern auch, Verantwortung großräumig zu umgehen. Für manche wird das zur Vorstellung von irgendetwas Göttlichem. Eine dürftige Hybris und ein gefährlicher Trugschluss obendrein. Die Entpflichtung des Menschen aus seiner Verantwortung ist selbstzerstörerisch. Es stimuliert nämlich zur Untätigkeit. Flüchtlinge? Weit, weit weg, ein Problem der Nachbarstadt und allenfalls eine Kurznachricht im Abendprogramm. Die bedrohte Umwelt? Vielleicht ja nur eine besonders langlebige Form von Fake news. Außerdem trennen wir brav den Müll! Unser aller Wohlstand?

Zugegeben, dabei haben wir auch ein wenig Glück gehabt. Dass die Welt aber verantwortliche Menschen braucht, mitfühlende, bescheidene und selbstlose, zeigt sich gegenwärtig mehr denn je. Man muss nicht an Gott glauben, um diese Haltung einzunehmen. Doch kann der Glaube helfen, eine solche Verantwortung in sich zu entdecken.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(los)
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