Berliner Republik Die moralische Dimension der Regierungskrise

Berlin · Affären sind in der Regel ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Sie dienen einer Gesellschaft aber auch dazu, sich ihrer Werte zu vergewissern. Eine politische Affäre entsteht, wenn die Grenzen dessen, was die Allgemeinheit für gut und richtig hält, überschritten wurde. Sie hat reinigenden Charakter.

Es ist Zeit, die Regierungskrise einmal vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die Weitergabe heikler Informationen durch den damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich war eine politische Dummheit, und damit war sein Rücktritt angemessen. Während dieses politische Beben und seine Hintergründe seit Tagen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, bleibt der Kern der Affäre im Hintergrund.

Die Affäre ist im Handumdrehen zu einer Staatskrise geworden, weil sie ein Thema berührt, das unsere Gesellschaft in ihrem Mark trifft. Es geht um Kinderpornografie oder, wie es die Staatsanwaltschaft Hannover formuliert, um deren "Grenzbereich". Doch darüber wird noch zu wenig debattiert.

Auf das Thema Missbrauch von Kindern und Pornografie mit Minderjährigen reagiert die Gesellschaft zu Recht besonders sensibel. Es gibt drei große Bereiche, bei denen sogar die Ermittlungsbehörden besonders sensibel sein dürfen und mit ihren Maßnahmen etwas weitergehen können als beispielsweise bei Steuerhinterziehung. Das sind Terror, Umweltvergiftung und Kinderpornografie.

Ob die Affäre um den SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy eines Tages mit einem Richterspruch enden wird, ist unklar. Offen ist auch, ob der frühere Abgeordnete je kinderpornografisches Material besessen hat, das justiziabel ist.

Warum bestrafen wir nicht, was Kindern Würde nimmt?

Edathy, der nun um seine juristische Unschuld kämpft, muss aber bewusst gewesen sein, dass er politisch erledigt ist, wenn publik wird, welche Art von Fotos er sich aus dem Netz lädt. Ein Mann, der solche Bilder konsumiert, ist als Volksvertreter untauglich. Diese Meinung herrscht auch bei Edathys früheren Kollegen im Bundestag vor. Man mag sich nicht vorstellen, dass Edathy als Innenpolitiker unter anderem auch für den Kampf gegen Kinderpornografie im Internet mitverantwortlich war.

Angesichts der wahrscheinlichen Legalität der Nacktfotos von Jungen, die sich Edathy im Internet gekauft hat, stellt sich die Frage: Warum stellen wir nicht unter Strafe, was Kindern die Würde nimmt und ihre Seelen quält? Eben dies ist der Punkt, an dem sich die Gesellschaft durch die Affäre Edathy ihrer Haltung zum Thema Kinderpornografie erneut vergewissern sollte.

Bevor 2007 das Kinderschutzgesetz erneuert wurde, hatten die Abgeordneten schwer darum gerungen, wo die Grenze zur Illegalität zu ziehen ist. Offensichtlich hat man das Gesetz nicht scharf genug formuliert. Auch wenn man Familienfotos von Kindern beim Planschen im Garten nicht verbieten möchte, so wäre es doch angezeigt, den käuflichen Erwerb von Fotos nackter Kinder und Jugendlicher unter Strafe zu stellen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(qua)
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