Berliner Republik Von den jungen Wilden zu den neuen Milden

Es ist erstaunlich, wie sich Menschen in einem Amt verändern. Die besten Beispiele für Polit-Metamorphosen sind Andrea Nahles und Alexander Dobrindt. Sie waren einst die Lautsprecher ihrer Partei – und wirken jetzt fast zahm. Wohl aus gutem Grund.

Es ist erstaunlich, wie sich Menschen in einem Amt verändern. Die besten Beispiele für Polit-Metamorphosen sind Andrea Nahles und Alexander Dobrindt. Sie waren einst die Lautsprecher ihrer Partei — und wirken jetzt fast zahm. Wohl aus gutem Grund.

Der geneigte Beobachter im Regierungsviertel reibt sich gerade die Augen: Das ist Alexander Dobrindt? Dieser seriöse Minister mit der diplomatischen Ausdrucksweise? Und das ist Andrea Nahles? Diese verbindliche Ministerin mit der freundlichen Ausstrahlung? Von den jungen Wilden zu den neuen Milden — wie geht das?

Alexander Dobrindt, der frühere CSU-Generalsekretär, ließ bislang eigentlich keine verbale Rempelei aus. Mario Draghi, EZB-Präsident, bezeichnete er einst als "Falschmünzer", die Grünen nannte er eine "Protest-Sekte", und die FDP ging während der schwarz-gelben Koalition als "Gurkentruppe" durch. Es ist unvorstellbar, dass er ähnliche Kraftausdrücke gegen den heutigen Koalitionspartner einsetzt. Mit der Entgegennahme der Ministerurkunde verpasste sich Dobrindt ein neues Image. Dass er "gar nicht so ist", wie er sich als Generalsekretär immer gab, hat sich schon bis zu den Sozialdemokraten herumgesprochen. Auf dem traditionellen Empfang der SPD-Parteizeitung "Vorwärts" vor ihrem Parteitag am Wochenende raunte ein eingefleischter Sozi: "Der soll ja sehr klug sein."

Die gleiche Polit-Metamorphose ist bei Andrea Nahles zu beobachten. Lange Zeit begleitete sie der Ruf, dass sie vor allem eines gut kann: Parteivorsitzende absägen und den Einzug von diesem oder jenem in dieses oder jenes Gremium verhindern. Offen tat sie kund, dass sie nicht in die Politik gegangen sei, um mit "Wattebäusch-en zu werfen". Vor Kameras und Mikrofonen wirkte sie wahlweise verbissen oder verspannt. Seit sie Ministerin ist, kommuniziert die 43-Jährige öffentlich locker. Und in der Union loben sie die Ministerin, weil sie so gut organisiert sei und sich mit jedem über alles abspreche.

An dieser Stelle sei die steile These gewagt, dass sich Nahles und Dobrindt, die sich übrigens gut verstehen, gar nicht so unähnlich sind. Sie sind beide Jahrgang 1970, haben ein Kind und sind verheiratet. Sie können sehr gut austeilen und, wenn es sein muss, auch einstecken. Sie wissen, was sie wollen und wie man ans Ziel gelangt — siehe Ministerämter. Und nicht zuletzt haben sie es beide mit Parteivorsitzenden zu tun, die schon als unberechenbar beschrieben worden sind. Allerdings ist auch bei SPD-Chef Sigmar Gabriel und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer eine Art politische Resozialisierungsphase eingetreten.

Es bleibt die Frage, warum an dieser Stelle eigentlich nicht von Hermann Gröhe (CDU) die Rede ist. Der war ja auch mal Generalsekretär und ist nun Gesundheitsminister geworden. Die Erklärung ist denkbar einfach: Er hat schon immer staatstragend gesprochen und gehandelt.

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(RP)
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