Der rot-grüne Kandidat im Porträt Joachim Gauck — Bürgerrechtler und Prediger

Berlin (RPO). Ein Hauch des Wendejahrs 1989 hat den Wahlkampf von Joachim Gauck umweht. Der wortmächtige Präsidentschaftskandidat von SPD und Grünen vermochte dabei selbst Barack Obamas zwei Jahrzehnte später weltberühmt gewordenen Spruch mit der friedlichen Revolution in der DDR zu verknüpfen.

Joachim Gauck – Bundespräsident und Bundesbeauftragter für Stasi-Akten
6 Bilder

Das ist Joachim Gauck

6 Bilder
Foto: ddp

"Ich bin mir sicher, dass unser deutsches 'Yes we can' das sächsische 'Wir sind das Volk' war", sagte der Pastor und einstige Herr über die Stasi-Akten - und zieht damit eine Parallele zwischen dem US-Präsidenten und den Leipziger Montagsdemonstranten, die im Herbst 1989 das Ende des SED-Regimes einläuteten.

Am Mittwoch schlägt für den 70-jährigen in der Bundesversammlung die Stunde der Wahrheit: Dann entscheidet sich, ob Gauck oder der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff als Kandidat von Union und FDP zehnter Bundespräsident wird.

Würde das Staatsoberhaupt vom Volk gewählt, hieße der Nachfolger des Ende Mai überraschend zurückgetretenen Horst Köhler Umfragen zufolge eindeutig Joachim Gauck. Tatsächlich aber hat der CDU-Politiker Wulff die besseren Karten: In der Bundesversammlung haben Union und FDP einen Vorsprung von etwa 20 Stimmen über der absoluten Mehrheit von 623 Mandaten.

Zudem kann Gauck nicht mit allen Stimmen aus der Opposition rechnen. Die Linkspartei hält den ausgewiesenen SED-Gegner für nicht wählbar und schickt mit der Journalistin Luc Jochimsen eine eigene Kandidatin ins Rennen.

Linker, liberaler Konservativer

Gauck selbst hat seine Chancen nüchtern eingeschätzt: "Ich bin Realist, und ich kann rechnen." Allerdings kamen in den vergangenen Wochen vor allem aus der FDP Stimmen für Gauck. Zudem plädierten die Alt-Präsidenten Richard von Weizsäcker und Roman Herzog zuletzt für eine Freigabe der Wahl über Parteigrenzen hinweg.

So ist Gauck durch die Lande gezogen und hat für sich die Werbetrommel gerührt. Als Leitmotiv zog sich die Freiheit durch alle Reden des Mecklenburgers. Er selbst beschreibt sich als "linker, liberaler Konservativer" und hat sich auch als Kandidat der Koalition für möglich gehalten, bevor ihn SPD und Grüne ins Rennen geschickt hatten.

Mit CDU-Chefin Angela Merkel verbindet ihn gegenseitige Sympathie. Die Kanzlerin lobte Gauck zu dessen 70. Geburtstag im Januar: "Sie haben sich in herausragender, unverwechselbarer Weise um unser Land verdient gemacht: als Bürgerrechtler, politischer Aufklärer und Freiheitsdenker.

Als Versöhner und Einheitsstifter in unserem jetzt gemeinsamen Land. Und als Mahner und Aufarbeiter des SED-Unrechts - und damit als Mann, der immer wieder an historische Verantwortung erinnert."

Bereits 1999 gab es einen Vorschlag aus der CSU, Gauck gegen den dann zum Bundespräsidenten gewählten SPD-Politiker Johannes Rau ins Rennen zu schicken. Damals lehnte Gauck dankend ab.

Früh auf Distanz zum Kommunismus der DDR

Der 1940 in Rostock geborene Kapitänssohn ging früh zum Sozialismus in der Prägung der DDR und der Sowjetunion auf Distanz. Bereits als Neunjähriger habe er gewusst, "dass der Sozialismus ein Unrechtssystem war". Sein Vater wurde 1951 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und zu Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt, aus der er vier Jahre später heimkehrte.

Weil Gauck weder bei den Jungen Pionieren noch bei der Freien Deutschen Jugend mitmachte, konnte er seinen Wunsch Journalist zu werden in der DDR nicht realisieren. Er studierte stattdessen Theologie und trat 1965 in den Dienst der Evangelischen Landeskirche von Mecklenburg ein. Als Pastor geriet er bald in das Visier des "VEB Horch, Guck und Greif", dessen Regime er im vereinigten Deutschland aufarbeiten sollte.

"Stasi-Akten sind Apotheke gegen Nostalgie"

Im Herbst 1989 gehörte Gauck zu den Mitbegründern des Neuen Forum und predigte in der Rostocker Marienkirche zum Auftakt der Demonstrationen für Freiheit und Einheit. Er wurde 1990 in die Volkskammer gewählt und übernahm die Leitung des Sonderausschusses für die Aufarbeitung des Stasi-Unrechts.

Am 2. Oktober 1990 - dem letzten Tag der DDR - wurde er zum Beauftragten für die Stasi-Unterlagen von der Volkskammer gewählt und am 3. Oktober von der Bundesregierung bestätigt. Die Behörde sollte schließlich seinen Namen tragen.

"Die Akten einer Diktatur sind die Apotheke gegen Nostalgie", wandte sich Gauck gegen die in Ostdeutschland verbreitete DDR-Verklärung. Besonders heftig stritt er sich mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) über dessen Stasi-Kontakte. Auch mit PDS-Star Gregor Gysi focht er manchen Strauß aus.

Die Erinnerung an die erste freie Volkskammerwahl 1990 lässt Gaucks Augen auch heute noch feucht werden und wirkt wie eine Mahnung an die Nichtwähler, ihr Handeln zu überdenken. Als er am 18. März 1990 seine Stimme abgegeben habe, so Gauck, da sei "alle Freiheit Europas in das Herz des Einzelnen gekommen. Ich wusste: Nie, nie und nimmer wirst du auch nur eine Wahl versäumen."

Am Mittwoch steht Joachim Gauck zur Wahl.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort