Bundeswehr 26.000 Wehrdienst-Opfer werden in Düsseldorf betreut

Düsseldorf · Für Bundeswehr-Angehörige, die im Einsatz oder im Dienstalltag gesundheitliche Schädigungen erleiden, gibt es nun eine statt bisher etliche Ansprechstellen.

 Bundeswehrsoldaten in einem Feuergefecht mit Taliban in Afghanistan.

Bundeswehrsoldaten in einem Feuergefecht mit Taliban in Afghanistan.

Foto: PIZ Kunduz/von S�hnen

Astrid Honig ist eine Art Detektivin im Auftrag der Bundeswehr. Bei der Sachbearbeiterin und ihren Kollegen in der neuen Zentrale für die Versehrten- und Hinterbliebenenversorgung in Düsseldorf laufen alle aktuellen Fälle auf: Ein Hauptgefreiter (21) hat sich in der Lüneburger Heide beim Aufladen von Munitionskisten auf einen Lkw schwer am Rücken verletzt, ein Oberstabsgefreiter (27) aus Bayern berichtet über eine posttraumatische Belastungsstörung, die er während eines Afghanistan-Einsatzes erlitten habe.

Honig muss prüfen, ob die Betroffenen tatsächlich Anspruch auf staatliche Unterstützung haben. Dazu müssen in schwierigen Fällen auch Ärzte, Zeugen und Kameraden befragt werden. 10.000 solcher Ermittlungen werden gerade in Düsseldorf geführt.

"Soldatsein hat auch mit Tod und Verwundung zu tun"

Früher kümmerte sich die Bundeswehr nur um aktive Soldaten, Ausgeschiedene und Hinterbliebene wurden von Behörden der Länder betreut, in denen sie jeweils wohnten. Die dort in mehr als 60 Dienststellen bundesweit erledigten Aufgaben sind nun in Düsseldorf konzentriert — ein Berg von Arbeit, der sichtbar ist: Überall türmen sich Papierberge; 12 000 Umzugskartons mit rund 8,5 Kilometer Akten sind aus den Bundesländern in Düsseldorf eingetroffen und müssen ausgewertet werden. Hinter jedem einzelnen Aktendeckel verbirgt sich ein schweres Schicksal, steht ein Mensch, dessen Lebensplanung zum Beispiel durch eine Taliban-Sprengfalle oder einen Unfall im Manöver zerstört worden ist.

 Ein im Einsatz schwerverwundeter Soldat wird mit dem Hubschrauber in ein mobiles Rettungszentrum der Bundeswehr gebracht und schnell operiert — zum Glück nur eine Übung des Einsatzführungskommandos in Bitburg.

Ein im Einsatz schwerverwundeter Soldat wird mit dem Hubschrauber in ein mobiles Rettungszentrum der Bundeswehr gebracht und schnell operiert — zum Glück nur eine Übung des Einsatzführungskommandos in Bitburg.

Foto: Michelis

"Soldatsein hat auch mit Tod und Verwundung zu tun", sagt Georg Stuke, der Präsident des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln, unter dessen Führung die neue Behörde in Düsseldorf aufgebaut worden ist. "Es ist unsere Pflicht, dass wir uns um diese Menschen besonders kümmern."

Die neue Einrichtung mit zurzeit 180 Mitarbeitern, Zielgröße sind 220 Beamte und Angestellte, betreut rund 26 000 Menschen, die im Verlauf der fast 60-jährigen Geschichte der bundesdeutschen Streitkräfte "beschädigt" worden sind, wie es im nüchternen Amtsdeutsch heißt. "Es geht um Versorgung aus einer Hand", betont Stuke — von Fürsorgeleistungen über Rentenzahlungen bis hin zur medizinischen Hilfe. "Die Bundeswehr ist ein Arbeitgeber mit besonderen Anforderungen, dies bedingt auch besondere Verantwortung. Da ist ein einziges, zeitnahes Verwaltungsverfahren mit höchstmöglicher Transparenz gefragt. Der Fokus liegt dabei immer auf den Betroffenen." Deshalb sei ein Leistungszentrum geschaffen worden, das diese Dienstleistungen zentral wahrnimmt.

Allein 214 Fälle im vergangenen Jahr

Eine Telefonhotline soll den Übergang erleichtern: "Pro Tag nehmen wir rund 60 Anrufe entgegen", berichtet Carola Krüsmann. Es gehe meist um Rentenfragen, aber auch um Batterien für Hörgeräte, Zahnersatz oder den behindertengerechten Umbau einer Garage. Nebenbei, so sagt Referatsgruppenleiter Axel Schad, suche man nach einem neuen, menschlicheren Begriff für das juristische Wort "Beschädigtenversorgung".

Die Auslandeinsätze der Bundeswehr haben die Zahl Geschädigter anwachsen lassen. Dazu zählen nicht nur körperlich teils schwer Verwundete und ihre Hinterbliebenen, sondern auch Soldaten mit psychischen Problemen wie der Oberstabsgefreite in Bischofswiesen. Er war 2010 in Afghanistan in heftige Gefechte verwickelt, aber erst 2013 begab er sich in ärztliche Behandlung. Allein im vergangenen Jahr sind 214 neue Fälle von Soldaten hinzugekommen, die schreckliche Ereignisse während ihres Auslandseinsatzes nicht verkraftet haben, eine Steigerung von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

 Präsident Georg Stuke informiert sich bei Astrid Honig in Düsseldorf über die Arbeit des neuen Zentrums für die Versehrten- und Hinterbliebenenversorgung. Links: Petra Nieder, die Leiterin des ärztlichen Dienstes.

Präsident Georg Stuke informiert sich bei Astrid Honig in Düsseldorf über die Arbeit des neuen Zentrums für die Versehrten- und Hinterbliebenenversorgung. Links: Petra Nieder, die Leiterin des ärztlichen Dienstes.

Foto: Michelis

"Wir leisten einen Beitrag zum sozialen Frieden", sagt die Leiterin des ärztlichen Dienstes, Petra Nieder. "Oft müssen wir die Betroffenen persönlich sehen, um wirklich helfen zu können." Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Fälle — vom orthopädischen Fall bis zu posttraumatischen Belastungsstörungen — sind nahezu alle Facharzt-Bereiche hier vertreten. Um die wohnortnahe Betreuung der Ehemaligen gewährleisten zu können, werden im gesamten Bundesgebiet 13 orthopädische Versorgungsstellen der Bundeswehr eingerichtet und von Düsseldorf aus gesteuert.

1500 Klageverfahren anhängig

Auch 27 Juristen und Verwaltungsspezialisten sind unter Leitung von Yvonne Diepenbruck in dem neuen Zentrum tätig: 1500 Klageverfahren seien anhängig, berichtet sie. Einzelne Fälle füllen eine ganze Umzugskiste, andere nur einen dünnen Aktenordner. Diepenbruck: "Hier geht es um die Höhe von Rentenansprüchen, aber auch um die Bezahlung eines Rollstuhls oder eines Hörgeräts."

Ein typischer Fall ist der eines ehemaligen Leutnants (41) aus Lüneburg, der sich bei einem Sprung von einem Panzer am Knie verletzt hatte. Er forderte als Ausgleich für eine Wehrdienstbeschädigung die Zahlung einer Rente. Das lehnte die Bundeswehr zunächst ab — die körperlichen Einschränkungen seien so gravierend nicht. Der Betroffene klagte darauf vor Gericht und hat nun doch noch Aussicht auf eine Rentenzahlung — sein Gesundheitszustand hat sich inzwischen verschlechtert hat.

Das neue Zentrum zahlt im Jahr Leistungen von rund 80 Millionen Euro aus, allein sechs Millionen Euro monatlich davon sind Renten.

Für Georg Stuke, der früher Präsident der 2012 aufgelösten Wehrbereichsverwaltung West in der Landeshauptstadt gewesen ist, ist die Stärkung des Bundeswehr-Standorts Düsseldorf ein Herzensanliegen. Mit der Zentrale für die Versehrten- und Hinterbliebenenversorgung wird die frühere Liegenschaft der WBV im Ortsteil Mörsenbroich als Behördenzentrum ausgebaut. Es arbeiten dort bereits viele Mitarbeiter anderer Ministerien, so dass dort bald über 1300 Bundesbedienstete tätig sein werden.

(mic)
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