Unser Reporter vor Ort Köhlers Regenwald-Ausflug fiel ins Wasser

Manaus (RP). Im Norden Brasiliens, am Amazonas, ist der Klimawandel bereits spürbar. Hier werden die bedrohlichen Folgen des CO2-Effekts schon konkret sichtbar, die in Deutschland zwar derzeit lebhaft diskutiert werden, aber den meisten dennoch als abstraktes Zukunftsproblem in weiter Ferne erscheinen.

Köhler im Regenwald
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Bundespräsident Horst Köhler informierte sich am letzten Tag seiner Brasilienreise über die Folgen des Raubbaus an der Natur im Amazonasbecken. Dabei traf er fern der Heimat mit deutschen Wissenschaftlern zusammen, die im Auftrag des Max-Planck-Instituts (MPI) dieses gigantische Ökosystem und die Möglichkeiten zu seiner Erhaltung erforschen.

In Manaus, der einstigen Kautschuk-Metropole, wo am Zusammenfluss von Rio Negro und Rio Solimőes der Amazonas beginnt, fuhr Köhler mit den Wissenschaftlern hinaus auf den riesigen Strom und ließ sich über die neuesten Erkenntnisse der Klima- und Regenwald-Forschung unterrichten. Der Klima-Effekt führt hier bereits seit Jahren zu extremer Trockenheit und extremen Hochwassern. Bei Köhlers Besuch gab es allerdings mehr als genug Regen. So fiel ein geplanter Spaziergang des Bundespräsidenten in den Regenwald wegen eines tropischen Wolkenbruchs buchstäblich ins Wasser - nomen es omen.

Die Wissenschaftler haben anhand der Jahresringe der Bäume direkte und nachweisbare Zusammenhänge zwischen den Zeiten besonderer Trockenheit am Amazonas und den Temperaturen des Oberflächenwassers im Atlantik und Pazifik festgestellt. Beim so genannten El Niňo führt die steigende Temperatur des Meereswassers zu besonderer Trockenheit im Amazonasbecken mit deutlich niedrigeren Wasserständen als in normalen Jahren.

Ohnehin schwanken die Pegel dieses größten und längsten Flusses der Welt im Jahresverlauf enorm. Um mindestens acht Meter steigt der Wasserstand auf dem Höhepunkt der Regenzeit, aber auch bis zu 15 Meter Differenz zwischen Trocken- und Regenzeit wurden schon gemessen. Nach den Wasserständen richtet sich das Leben von Millionen Menschen in der Region, weil etwa bei Trockenheit kaum noch Fischfang möglich ist, oder bei Hochwasser die flussnahen Pfahlbauten in Gefahr geraten.

Seit der Erschließung Amazoniens in den 60er Jahren sind bereits über 17 Prozent des ursprünglichen Waldbestands zerstört worden. Ein offizielles Expertengutachten rechnet bis zum Jahr 2050 mit bis zu 40 Prozent Waldverlust — verbunden mit gigantischen CO2-Emissionen und entsprechenden Auswirkungen auf die Atmosphäre. Schon heute entstehen etwa zwei Drittel aller CO2-Emissionen Brasiliens durch die Rodung der Wälder, nur ein Drittel entsteht durch die Verkehrsabgase.

Die Bedeutung des Amazonasbeckens für die restliche Welt wird weithin unterschätzt. Hier fließen 20 Prozent aller Süßwasser-Vorräte der ganzen Welt. Hier leben etwa 6000 Baumarten (zum Vergleich: in Deutschland sind es rund 30), 2000 Vogelarten (100), 3000 verschiedene Süsswasserfische (70) und 430 Säugetierarten (100). Überdies gibt es am Amazonas schätzungsweise eine Million Insektenarten, davon viele noch gänzlich unerforscht. Dass es in Deutschland nur 50.000 Insektenarten sind, wird hingegen wohl nicht jeder bedauern.

Die MPI-Wissenschaftler entwickeln unter anderem Methoden für eine nachhaltige und trotzdem gewinnbringende Waldwirtschaft, indem sie die Wuchs-Bedingungen der verschiedenen Baumarten untersuchen. Der Bundespräsident bestärkte die Wissenschaftler in ihrem Engagement für den Regenwald und schlug einen Bogen zum Verhalten der Verbraucher in Deutschland. Köhler zitierte Werbesprüche à la "Geiz ist geil" und kritisiert die verbreitete Neigung der Deutschen, vor allem billig zu kaufen, ohne zu hinterfragen, wo zum Beispiel die Möbel herkommen: "Was nützen mir billige Preise, die mit Umweltzerstörung in Amazonien bezahlt werden?"

Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell, der Köhler auf der Südamerika-Reise begleitet, berichtete zuvor bereits von chinesischer Billig-Konkurrenz mit Holz aus naturfeindlichem Raubbau, die auf den Markt für Buntstifte dränge. Faber-Castell betreibt in Brasilien die größte Buntstift-Fabrik der Welt und verwendet nur Holz aus nachhaltigem Anbau in eigenen Aufforstungs-Projekten.

Kurz vor der Weiterreise nach Kolumbien, der letzten Station auf seiner Reise, besichtigte Köhlers Delegation in Manaus das legendäre Opernhaus. Das Bauwerk aus dem Jahr 1896 markiert den Höhepunkt der ebenso reichen wie dekadenten Epoche der Gummi-Barone, die hier im 19. Jahrhundert mit Naturkautschuk reich geworden sind. In dem mehrfach renovierten Prachtbau, für den damals die besten und teuersten Materialien gerade gut genug waren, finden heute leider kaum noch nennenswerte Opernaufführungen statt. Zu Ehren des Bundespräsidenten spielte bei dem kurzen Besuch in diesem wunderschönen Kulturtempel ein örtliches Kammerorchester auf. Das waren die einzigen Misstöne an diesem Tag.

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