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Korruption Kanadas Saubermann wankt

VANCOUVER · Justin Trudeau versinkt in einer Justiz-Affäre – nun hat erstmals eine frühere Ministerin über die Ereignisse gesprochen und dabei schwere Vorwürfe gegen den Premier erhoben.

In Kanada steckt Premierminister Justin Trudeau in einer schweren politischen Krise – und nun ist der Druck auf ihn noch einmal massiv gestiegen. Bei einem denkwürdigen Auftritt im Parlament in Ottawa warf Ex-Justizministerin Jody Wilson-Raybould dem Premier am Mittwoch vor, durch politischen Druck die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet zu haben. Die Opposition forderte seinen Rücktritt.

Bei der mehrstündigen Anhörung vor dem Justizausschuss hielt die ehemalige Ministerin Trudeau vor, er und seine Mitarbeiter hätten sie monatelang unter Druck gesetzt, in einem Korruptionsverfahren zugunsten des kanadischen Baukonzerns SNC-Lavelin zu intervenieren. Nachdem sie sich geweigert habe, sei sie zunächst versteckten Drohungen ausgesetzt gewesen, schließlich sei sie aus dem Amt entfernt worden.

Es war das erste Mal, dass sich die ehemalige Ministerin ausführlich zu den seit Wochen schwelenden Vorwürfen äußerte, über die die Tageszeitung „Globe and Mail“ zuerst berichtet hatte, und die sich mittlerweile zur bislang größten Affäre Trudeaus ausgeweitet haben. In jüngsten Umfragen ist Trudeaus Liberale Partei nunmehr klar hinter die Konservativen zurückgefallen und seine Wiederwahl im Oktober ist akut in Gefahr. Bei der aktuellen Umfrage des angesehenen Angus-Reid-Instituts sind Trudeaus Liberale mittlerweile auf 31 Prozent abgestürzt, die Konservativen dagegen liegen bei 38 Prozent.

Brisant ist die Sache für Trudeau, weil die fragliche Baufirma ihren Hauptsitz in Montréal hat, wo auch der Wahlkreis des Premiers liegt. SNC-Lavalin zählt zu den größten Baufirmen der Welt, steht aber seit Jahren wegen Korruptionsvorwürfen am Pranger. Anfang der 2000er Jahre soll die Firma Beamte in Libyen bestochen haben, um Aufträge an Land zu ziehen. In Kanada wird deswegen ermittelt.

Wie die Ex-Ministerin bei der Anhörung am Mittwoch enthüllte, soll Trudeau sie bei einer Unterredung gedrängt haben, die strafrechtliche Verfolgung gegen SNC-Lavalin zugunsten einer außergerichtlichen Einigung abzuwenden. Trudeau habe dies mit drohenden Arbeitsplatzverlusten in seiner Heimatprovinz Québec begründet und auf die damals bevorstehenden Wahlen in der Provinz hingewiesen.

Ein Schuldspruch für die Firma hätte zur Folge, dass SNC-Lavalin zehn Jahre lang von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen würde. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 50.000 Mitarbeiter, davon knapp 10.000 in Kanada, die meisten in Québec. Laut seiner Ex-Ministerin hat Trudeau in besagtem Gespräch auch sein Abgeordnetenmandat in Montréal als Grund für die Intervention genannt.

Aus Sicht vieler Kanadier hat Trudeau damit eine rote Linie überschritten. In Kanada fungiert der Justizminister zugleich auch als Chefankläger und genießt als solcher traditionell eine weitgehende Unabhängigkeit vom politischen Tagesgeschäft. Kritiker werfen Trudeau nun vor, dieser habe mit der versuchten Einflussnahme den Rechtsstaat des Landes ausgehebelt.

Kanadas konservativer Oppositionsführer Andrew Scheer verlangte den Rückzug Trudeaus. Dieser habe die moralische Autorität verloren, das Land zu regieren. Die Bundespolizei forderte er auf, Ermittlungen gegen den Regierungschef einzuleiten. Die Aktionen Trudeaus bewegten sich „hart an der Grenze zur Illegalität“. Der Ethikbeauftragte des kanadischen Parlaments hat bereits eine Untersuchung eingeleitet.

Trudeau wies die Rücktrittsforderungen am Mittwoch zurück. Seine Regierung achte die Unabhängigkeit der Justiz und habe sich stets an Recht und Gesetz gehalten, sagte er bei einem Auftritt in Québec. Die Darstellungen seiner ehemaligen Ministerin seien schlicht falsch. Trudeau stritt allerdings nicht ab, dass er im Zusammenhang mit der Baufirma drohende Arbeitsplatzverluste zum Thema gemacht hatte.

Am Freitag ordnete Trudeau aufgrund der Justiz-Affäre Teile seines Kabinetts neu. Er ernannte Lawrence MacAulay zur neuen Veteranenministerin. MacAulays Posten als Landwirtschaftsministerin nahm Entwicklungsministerin Marie-Claude Bibeau ein. Deren Aufgabenfeld wanderte über zu Frauen- und Gleichstellungsministerin Maryam Monsef.

Politisch folgenschwer für Trudeau ist die Krise, weil die Kontroverse seinem Saubermann-Image zuwiderläuft, mit dem er 2015 angetreten war. Die Vorfälle belasten auch sein Verhältnis zu den Ureinwohnern, das Trudeau eigentlich verbessern wollte. Wilson-Raybould war zuletzt die einzige Ministerin indigener Abstammung, und bei den Stammesführern des Landes ist die Empörung über den Premier groß.

Auch Trudeaus Image als selbst erklärter „Feminist“ hat zuletzt gelitten. Nicht wenige Frauen in Kanada werfen ihm vor, er habe seine Ex-Justizministerin schäbig behandelt und mit ihr eine der einflussreichsten Frauen am Kabinettstisch kaltgestellt.

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