Interview mit EU-Kommissarin Viviane Reding „Der Euro braucht einen großen Wurf“

Brüssel (RP). Angesichts der deutsch-französischen Differenzen in Sachen Euro-Rettung warnt die EU-Kommission vor einem Scheitern der anstehenden Krisengipfel. "Europa steht am Scheideweg. Der große Wurf muss jetzt gelingen", mahnte die Vize-Präsidentin der EU-Exekutive, Viviane Reding.

 EU-Kommissarin Viviane Reding warnt vor dem Scheitern des EU-Krisengipfels.

EU-Kommissarin Viviane Reding warnt vor dem Scheitern des EU-Krisengipfels.

Foto: AFP, AFP

Geht es beim Krisen-Gipfel am Wochenende um die Zukunft des Euro und Europas?

Reding: Europa steht am Scheideweg. Bisher haben wir eine Staatsschuldenkrise in einigen EU-Ländern, keine Eurokrise. Wenn wir aber jetzt kein überzeugendes Lösungs-Konzept vorlegen, dann besteht die Gefahr, dass diese Staatschulden-Krise zu einer Gefahr für unsere Währung wird. Das müssen wir unbedingt verhindern.

Noch gibt es noch Streit — vor allem zwischen Berlin und Paris. Kann der große Wurf gelingen?

Reding: Der große Wurf muss jetzt gelingen. Europa braucht Führungsstärke sowie entschlossenes Handeln, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Dass am Sonntag die Krise nicht mit einem Donnerschlag beendet werden kann, ist klar. Aber wir müssen Schritt für Schritt gemeinsam und entschlossen in die gleiche Richtung gehen. Wir brauchen jetzt Einigkeit und ein umfassendes Konzept zur Stabilisierung Griechenlands sowie des Euro-Gebietes.

Müssen sich die Banken stärker an der Rettung Griechenlands beteiligen - als die bisher vereinbarten 20 Prozent Forderungsverzicht auf ihre Anleihen…

Reding: Das wird diskutiert. Seit der Finanzkrise 2007 haben die EU Staaten 4,6 Billionen Euro zur Stützung der Banken ausgegeben. Das ist sehr viel Geld. Die Banken sollten jetzt nicht vergessen, dass sie im Gegenzug eine Verantwortung für das Allgemeinwohl haben. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

In der Euro-Zone ist ein Schuldenerlass von bis zu 60 Prozent im Gespräch, damit Athen wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen kann. Sollten die privaten Gläubiger notfalls zu einem stärkeren Engagement gezwungen werden?

Reding: Eine erzwungene Beteiligung von privaten Gläubigern an einem größeren Schuldenschnitt ist rechtlich äußerst problematisch. Der Grundsatz, dass Staaten für ihre Schulden selber einstehen müssen, darf nicht aufgehoben werden. Die freiwillige Einbeziehung privater Gläubiger in die Griechenland-Rettung muss daher ein absoluter Ausnahmenfall bleiben. Eine akute Krisenlösung darf nicht zu einer Aushöhlung der Basisprinzipien unserer Rechtsgemeinschaft führen. Wir müssen aufpassen, dass wir für die Rettung Griechenlands das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Muss der Rettungsschirm EFSF weiter gestärkt werden?

Reding: Der Rettungsschirm ist ein unerlässliches Instrument zur Überwindung der Schuldenkrise. Er darf nicht zerredet, sondern muss gestärkt werden. Klein-Klein reicht dafür nicht. Der Rettungsschirm muss die nötige Feuerkraft bekommen, um eine Ausweitung der Schuldenkrise verhindern zu können. Er muss die Märkte überzeugen, dass Europa alles Nötige tut, um den Euro zu retten. Wie das finanztechnisch am besten geht, darüber müssen sich die Staats- und Regierungschefs am Wochenende einigen.

Beim Gipfel geht es auch um die richtigen Lehren aus der Krise. Muss die Rolle der Kommission gegenüber den Nationalstaaten gestärkt werden?

Reding: Ja. Die Kommission braucht mehr Durchgriffsrechte auf die nationale Haushalts- und Finanzpolitik in Problemländern. Es genügt nicht, Regeln zu haben. Es müssen alle wissen, dass sie auch durchgesetzt werden. Sonst ist das Ganze so abschreckend wie ein Polizist, der keinen Strafzettel schreiben darf. Oder ein Richter, der kein Urteil sprechen darf. Es muss klar sein, dass jemand das Heft in der Hand hat und gegebenenfalls eingreift. Europa braucht noch mehr Biss gegen Schuldensünder.

Deutschland und Frankreich wollen das Heft einer Wirtschaftsregierung aus den Regierungschefs der Euro-Staaten überlassen…

Reding: Wenn sie von jemandem verlangen, sich selbst den Strafzettel auszustellen, funktioniert das nicht. Die Kommission ist die Wirtschaftsregierung. Sie ist die Institution, die unabhängig und im Allgemeininteresse handelt — und deshalb sollte sie die Aufgabe des Polizisten in Europa übernehmen, um die Euro-Staaten zu solider Haushalts- und Finanzpolitik zu bewegen. Es geht darum, dass der Strafzettel für Sünder ausgestellt und bezahlt wird — um die Allgemeinheit wirksam vor dem Schaden durch das Fehlverhalten einzelner Staaten zu schützen.

Brauchen wir Vertragsänderungen, um die Euro-Zone krisenfest zu machen, wie Deutschland es anpeilt?

Reding: Wir brauchen jetzt erst einmal rasch wirksame Maßnahmen, die greifen und Biss haben, um die Krise zu überwinden. Das geht ohne Weiteres auf Grundlage der geltenden Verträge — etwa wenn es um die Stärkung der Kommission geht. Es ist lediglich eine Frage des politischen Willens. Im Unterschied dazu lassen sich Vertragsänderungen nicht über Nacht realisieren. Sie brauchen Zeit. Nötige Entscheidungen auf Vertragsänderungen und damit auf die ferne Zukunft zu verschieben, wäre gefährlich.

(RP)
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