Politische Ungewissheit in Libyen Was kommt nach dem Jubel?

Tripolis (RP). Gewehrsalven knattern, Feuerwerksraketen zischen in die Luft, überall schwenken jubelnde Menschen die rot-schwarz-grüne Fahne der libyschen Revolution. Die Meldung von Muammar al Gaddafis Tod hatte sich in Tripolis wie ein Lauffeuer verbreitet. In die Freude über das Ende des verhassten Diktators mischte sich auch die Hoffnung, dass nun Frieden einkehrt. Die Libyer sehnen sich nach Normalität, aber davon ist das Land noch weit entfernt.

 Die Nachrichtenagentur AFP verbreitete dieses Bild, das Gaddafi mit einer Kopfwunde zeigt.

Die Nachrichtenagentur AFP verbreitete dieses Bild, das Gaddafi mit einer Kopfwunde zeigt.

Foto: Screenshot Twitter

Bis gestern leisteten Gaddafi-Anhänger in zahlreichen Gegenden des riesigen Landes weiterhin so viel Widerstand, dass die Übergangsregierung sich davor hütete, von einer völligen Befreiung Libyens zu sprechen. Die Sicherheitslage blieb angespannt. Erst vor drei Tagen war es in einem Stadtteil der Hauptstadt Tripolis zu Zusammenstößen mit Gaddafi-Loyalisten gekommen.

Es gab Tote und Verletzte. Und nur wenige Stunden vor dem Tod Gaddafis hatte die Regierung noch davor gewarnt, der flüchtige Diktator habe möglicherweise schwarzafrikanische Söldner ins Land kommen lassen, um eine neue Offensive zu starten. Nun ist die Hoffnung umso größer, dass der Widerstand der Gaddafi-Getreuen nach dem Tod ihres Führers endgültig zusammenbricht.

Damit rücken andere Probleme in den Vordergrund. Bisher hatte der gemeinsame Kampf gegen Gaddafi die libyschen Aufständischen zusammengeschweißt. Doch wie einig sich die neuen Herren des Landes wirklich sind, ist unklar.

Die Übergangsregierung ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Da gibt es aufrechte Widerstandskämpfer und Wendehälse aus dem alten Regime, es gibt Islamisten und Royalisten, viele alte Männer und einige graue Technokraten. Wie dieses Gremium den versprochenen Übergang zu einem demokratischen Rechtsstaat organisieren will, weiß bisher niemand.

Wiederherstellung staatlicher Autorität

Zunächst einmal geht es um die Wiederherstellung staatlicher Autorität. Immer noch beharren die verschiedenen Militärkommandanten der Aufständischen eifersüchtig auf ihre Eigenständigkeit. Ohne ein gemeinsames Kommando droht dem Land der Zerfall in einen Flickenteppich von Landstrichen, in denen jeweils ein anderer Warlord das Sagen hat. Gleichzeitig könnten die für die libysche Gesellschaft wichtigen Stämme sich einer Führung durch eine nationale Regierung in Tripolis verweigern.

Auch die Verwaltung muss neu in Gang gebracht werden, darunter vor allem die Justiz. In der kommenden Woche sollen die Gerichte erstmals wieder zusammentreten. Ihre wichtigste Aufgabe wird es sein, sich um die 7000 Gefangenen zu kümmern, die während der Kriegswirren der vergangenen Monate hinter Gittern gelandet sind.

Am weitesten ist die Normalisierung in der Wirtschaft vorangeschritten. Die strategisch wichtige Ölförderung wurde wieder in Gang gebracht; die meisten der während der Kämpfe evakuierten ausländischen Spezialisten sind zurück.

(RP)
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