Zement-Plätzchen

Meine drei Brüder und ich, alle im Vorschulalter, waren voller Erwartung. St. Martin, St. Nikolaus und nun Weihnachten - würden sich unsere Wünsche erfüllen? Meine Mutter wollte Plätzchen backen und tauschte deshalb einen Ring gegen Eier und Zucker, eine Aktentasche gegen Butter. Die Werke großer Meister wurden auf dem Schwarzmarkt gegen eine Tüte Mehl eingetauscht. Also konnte die Weihnachtsbäckerei beginnen: Die Zutaten wurden verrührt, das Mehl - damals grau in grau - kam dazu, das Umrühren wurde immer schwerer.

Wir Kinder naschten natürlich vom Teig, und als Mutti vom Teigrest in der Schüssel probierte, war sie nicht begeistert. Sie holte die ersten Plätzchen aus dem Ofen hervor, es waren noch zwei Tage bis Heiligabend, erst dann durften wir probieren. Doch dazu kam es nie. Liebevolle Menschen hatten zwar Bücher gegen Mehl getauscht, doch in der Tüte befand sich Zement. Wusste der Tauscher, dass wir auch Löcher in den Wänden hatten? Lisel Knapp, Mönchengladbach

(RP)
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