Mönchengladbach Gladbachs Münster breitet seinen Schatz aus

Mönchengladbach · Erstmals ist das sakrale Inventar der Abteikirche in einem Museum zu sehen – und gibt Auskunft über Kirchen- und Stadtgeschichte.

Erstmals ist das sakrale Inventar der Abteikirche in einem Museum zu sehen — und gibt Auskunft über Kirchen- und Stadtgeschichte.

Nur selten ist die Geschichte einer Stadt so eng mit einem Kirchenschatz verknüpft wie in Mönchengladbach. Als der Kölner Erzbischof Gero vor mehr als 1000 Jahren mit dem Trierer Mönch Sandrad aufbrach, die Gegend für eine neue Abtei zu erkunden, führte Engelgesang sie an einen Hügel und hieß sie graben. Sie stießen auf Reliquien — darunter Stückchen der Gebeine des Heiligen Vitus. Ein gesegnetes Fleckchen Erde also. Die Gottesmänner ließen 974 Abtei samt Klosterkirche errichten, das zog Handwerker und Händler an, die Geschichte der Stadt Mönchengladbach begann.

So wird es seit Jahrhunderten berichtet und dabei nicht so sehr darauf geachtet, dass des heiligen Vitus Gebeine sich mit größter Wahrscheinlichkeit schon zuvor im Besitz des Erzbischofs befanden und der Berg im Herzen Gladbachs auch aus strategischen Gründen für ein Kloster bestens geeignet war. Dass es ein gottgefälliger Ort sei, war entscheidender in jenen Tagen, als Grundstückswerte auch noch ideell bemessen wurden.

Und die Reliquien des Heiligen Vitus, mit denen alles begann, blieben in Mönchengladbach, überstanden Napoleons Säkularisierung, die Weltkriege und ruhen bis heute im Schatz des Münsters. Bisher galt das allerdings durchaus im wörtlichen Sinne: Die Schatzkammer der Kirche ist ein ruhiger Raum mit Tresortür. Wer einen Blick auf Vitusbüste, Monstranzen, Schreine werfen wollte, brauchte gute Beziehungen zur Küsterin. Ausgestellt wurden Teile des Schatzes wie ein Stück des Tischtuchs vom letzten Abendmahl nur alle sieben Jahre zur Heiligtumsfahrt.

Die nächste steht 2014 bevor, doch schon jetzt hat der Schatz des Münsters seine dunkle Kammer verlassen. Das Museum Schloss Rheydt hat sich der Sammlung angenommen, hat viele Stücke restaurieren lassen, zum ersten Mal wissenschaftlich erfasst und breitet den gesamten Schatz ab dem Wochenende in seinen Räumen aus.

Zu sehen sind eher kuriose Reliquien wie ein kleiner Würfel, mit dem die Soldaten bei der Kreuzigung Jesu um dessen Kleider gespielt haben sollen. Aber auch anerkannte Raritäten wie ein romanischer Tragealtar aus dem 12. Jahrhundert. Der flache Kasten, nur 21 Zentimeter lang, ist mit Emaillebildern reich verziert und ermöglichte Priestern auch auf Reisen die Messe zu feiern.

Als Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts das Rheinland annektierte und sich auch den kirchlichen Besitz einverleibte, war der Tragealtar in akuter Gefahr. Die Franzosen beschlagnahmten alles, was materiellen Wert besaß, ließen Schreine, Büsten, sakrale Geräte aus Edelmetall einschmelzen. Den Tragealtar aber erklärte der örtliche Pfarrer kurzerhand zu seinem Hausaltar — und konnte ihn so bewahren.

Trotzdem war die Säkularisierung auch für den Münsterschatz eine bittere Zäsur, die meisten Werke aus der Zeit vor 1800 sind auf immer verloren, genau wie die reiche Bibliothek der Benediktinerabtei. Umso kostbarer sind die Stücke, die noch zu bestaunen sind, ein Buch über die Geschichte der Abtei in schwerem Ledereinband etwa oder ein Elfenbeinkästchen aus byzantinischer Zeit. Auch die eigentlichen Reliquien rührten die Franzosen nicht an. Und so stifteten die Bürger der Stadt ab Mitte des 19. Jahrhunderts neue Stücke für den Schatz ihrer Kirche. Arbeiter der aufblühenden Textilindustrie und Schützenbruderschaften sammelten für neue Reliquienbehälter, damit sie ihrer Heiligen, ihrer Vorbilder und Fürsprecher, wieder angemessen gedenken konnten. 1867 versammelten sie sich erstmals nach Ende der napoleonischen Herrschaft wieder zu einer Heiligtumsfahrt. So erzählen die Kostbarkeiten eines Kirchenschatzes von den wechselnden Werten der Gesellschaft, vom Leben der Menschen — und von dem, was ihnen heilig war.

(RP)
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