Dresden/Bonn Der Maya-Kalender – ein modernes Mysterium

Dresden/Bonn · Am 21. Dezember 2012 droht der Weltuntergang – so heißt es. Doch gibt es im Maya-Kalender keinerlei Hinweise auf dieses Szenario.

Weltweit bereiten sich esoterisch orientierte Menschen auf das drohende Ende der Welt vor. In Russland werden Überlebenspakete mit Getränken, Keksen und Kondomen verkauft, mit deren Hilfe sich die Menschen in Bunkern eine Weile über Wasser halten können. In den französischen Pyrenäen erwartet die Gemeinde Bugarach einen Ansturm von Esoterikern, weil der Hausberg des 200-Seelen-Dorfs angeblich vom Weltuntergang verschont bleiben wird. Und auch rational denkende Menschen fragen sich in diesen Tagen vielleicht doch heimlich, ob nicht wirklich etwas an der Geschichte dran sein könnte. Denn angeblich sagt der Kalender des mittelamerikanischen Volks der Maya vorher, dass am 21. Dezember 2012 die Welt untergehen soll.

Der Mythos des Weltuntergangs geht auf den US-Anthropologen Michael Coe zurück, der sich auf die Maya-Schrift spezialisiert hat. Bereits in den 1960er Jahren hat er die Frage aufgeworfen, ob es möglich ist, dass die Zeitrechnung der Maya irgendwann enden könnte. Hinter dieser Idee steckt eine vielseitige mathematische Überlegung. Denn die Maya besaßen ein komplexes und daher äußerst präzises Kalender- und Zahlensystem, mit dessen Hilfe sie Ereignisse datieren und vorhersagen konnten.

Typisch für die Kalender sind verschiedene Zyklen. Einer orientierte sich an der Dauer einer Schwangerschaft. Der 260 Tage lange Tzolkin wird auch heute noch als Ritualkalender genutzt. Jeder Tag wird durch die Kombination einer Zahl mit einer Schutzgottheit bezeichnet. Die Maya entwickelten auch aus der Dauer, die die Erde braucht, um einmal die Sonne zu umrunden, einen Kalender. Er heißt Haab, dauert 365 Tage und funktioniert so wie die uns bekannte Jahreszählung.

Der Mythos des Weltuntergangs geht aber auf ein anderes System zurück: auf die sogenannte "Lange Zählung". Sie reicht 5126 Jahre zurück und deckt die gesamte Geschichte der Maya-Kultur ab. Laut der überlieferten Schriftstücke sehen die Maya den 11. August 3114 v. Chr. als ihren Schöpfungstag an. Die Zeit wird in der Langen Zählung in immer größere werdende Zyklen eingeteilt: ein K'in ist ein Tag. Es folgen ein Uinal (20 Tage), ein Tun (360 Tage) und ein K'atun (7200 Tage). Besonders lang dauert ein Baktun (144 000 Tage, rund 394 Jahre). Mit Hilfe dieser Zahlen können die Maya jedes Datum seit Beginn ihrer Zeitrechnung zusammensetzen. Wenn man nun das Ursprungsdatum im Jahr 3114 v. Chr. als Start nimmt und 13-mal den Baktun aufaddiert, gelangt man zu dem besagten Untergangsdatum: dem 21. Dezember 2012. Für die Maya hatte die Zahl 13 eine mythische Bedeutung und so stellte sich der Maya-Forscher Coe vor rund 60 Jahren die Frage, ob nach dem 13. Baktun-Zyklus etwas enden könnte.

"Spätestens mit Roland Emmerichs Katastrophenfilm ,2012' ist der Hype um das Ende der Welt vollends ausgebrochen", sagt Thomas Bürger, Generaldirektor der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Er wacht über das wichtigste Schriftstück der alten Kultur: den Maya-Kodex. Der umfasst 78 Seiten, die etwa so groß wie zwei nebeneinanderliegende Handflächen sind. Die Schriftzeichen, Bilder und Datumsangaben dienten den Priestern der Maya als Wahrsagekalender. Die Venustafel hilft zum Beispiel, die Zukunft für 20 Jahre vorauszusehen (siehe Grafik). In die Hände der Europäer sind die Aufzeichnungen der Maya gefallen, als sie im 17. Jahrhundert Mittelamerika erobert haben. Alle Schriftstücke wurden verbrannt – bis auf drei Kodizes. Sie liegen in Dresden, Madrid und Paris. Am besten erhalten ist der Dresdener Kodex. Er ist seit 1835 für die Öffentlichkeit zugänglich.

"Es kommen jedes Jahr Tausende Besucher, um den Kalender anzuschauen", sagt Bürger. Sogar Nachfahren der Maya pilgern nach Dresden, um dieses Zeugnis ihrer Vorfahren zu bewundern. "Einmal ist ein Mann hergekommen, um Kontakt mit seinen Ahnen herzustellen", erinnert sich Bürger. Es sei beeindruckend gewesen zu sehen, dass der Kalender nicht nur als Kunstwerk mit historischem Wert, sondern auch als Medium zu religiösen Zwecken betrachtet wird.

Eine Seite weckt im Zusammenhang mit dem Weltuntergang besondere Aufmerksamkeit: die Darstellung der großen Flut. Wie im christlichen Glauben gibt es bei den Maya die Vorstellung, dass es katastrophale Überflutungen geben kann. Diese Seite wird als Hinweis auf den Weltuntergang interpretiert. Doch tatsächlich hat sie nichts mit dem Ende der Welt zu tun. "Die große Flut ist als allgemeine Warnung zu verstehen", sagt Bürger.

Tatsächlich gibt der Kalender der Maya keine Hinweise auf den Weltuntergang. "Wir haben mittlerweie weitere Zyklen in der Langen Zählung entdeckt, die noch deutlich länger sind als ein Baktun", sagt Nikolai Grube, Maya-Experte von der Universität Bonn. Grube zählt zu den wenigen Menschen auf der Welt, die die Schrift des alten Volkes lesen können. Im Grunde endet also lediglich ein Baktun am 21. Dezember und ein weiterer beginnt. Das Ende der Welt wird es nicht geben. "Für die Maya wird die Zeit ganz normal weiter gehen", sagt Grube.

Und dennoch hat dieses apokalyptische Datum auch für die heute lebenden Nachkommen der Maya Bedeutung. Sie leben als Minderheit in Guatemala, Belize, Honduras, Mexiko und El Salvador – ohne politische Rechte und als nicht anerkannte Bevölkerungsgruppe. "Ein Teil der politisch engagierten Maya hofft, dass sich durch die Aufregung um den Weltuntergang das Augenmerk der Welt auf sie richtet und sich ihre Situation dadurch verbessert", sagt Grube. "Ich wünsche mir sehr, dass ein längerfristiges Interesse an den Maya zurückbleibt."

(RP)
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