Manfred Deselaers "Das wichtigste Gebet in Auschwitz ist Schweigen"

Oswiecim · Der Priester lebt am Rande der KZ-Gedenkstätte, die Papst Franziskus jetzt auf seiner Reise zum XXXI. Weltjugendtag in Krakau besucht.

Seit 26 Jahren lebt der katholische Priester Manfred Deselaers am Rande des früheren Vernichtungslagers Auschwitz. Der gebürtige Düsseldorfer ist Vizepräsident der Stiftung Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim. Nun steht die Gedenkstätte vor einer großen Herausforderung: Während des Weltjugendtages (WJT) vom 20. Juli bis 3. August im benachbarten Krakau werden in Auschwitz über 300.000 meist jugendliche Besucher erwartet.

Bewegt es Sie, dass so viele Besucher des Weltjugendtages auch Interesse an Auschwitz zeigen, oder fürchten Sie vielleicht, dass ein kurzer Besuch dieser Gedenkstätte zu oberflächlich bleibt?

Deselaers Jeder Besuch in Auschwitz bleibt zu oberflächlich. Ich freue mich, dass es so vielen jungen Menschen - teils aus weit entfernten Ländern - ein Anliegen ist, die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau zu besuchen. Es wurde darum alles dafür getan, dass möglichst viele Menschen kommen können. Es gibt kürzere Rundgänge, dafür zusätzliche Erklärtafeln und Material zur Begleitung, damit der Besuch dennoch in einem sinnvollen Rahmen geschehen kann. Viele deutsche Gruppen waren schon vor dem Weltjugendtreffen zur Vorbereitung bei uns oder haben eine zweite Reise geplant.

Papst Franziskus hat angekündigt, bei seinem Besuch in Auschwitz schweigen zu wollen. Seine Vorgänger Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben das anders gehalten. Halten Sie die Entscheidung des amtierenden Papstes für angemessen?

Deselaers Das wichtigste Gebet in Auschwitz ist Schweigen. Papst Johannes Paul II. war als Erzbischof von Krakau mit der Gedenkstätte sehr vertraut, er war oft hier, hat viel geschwiegen, sie spielte eine zentrale Rolle in seiner Theologie, es war also naheliegend, dass er sich dort an die Gläubigen wenden würde. Benedikt XVI. musste als deutscher Papst an diesem Ort eine Ansprache halten, begann sie aber mit den Worten, dass er am liebsten schweigen würde. Mit Papst Franziskus setzt sich das Schweigen nun durch, und ich denke, dass das Bewusstsein von der Heiligkeit des Ortes durch das Schweigen des Papstes gestärkt wird. Ich bin sicher, dass er das, was ihn in Auschwitz bewegen wird, zum Weltjugendtag mitnimmt.

Die Nähe zu Auschwitz wird also Einfluss nehmen auf den Weltjugendtag?

Deselaers Ich hörte von manchen Leuten, die meinen, ein Weltjugendtag sei doch ein fröhliche Veranstaltung mit Tanz und Musik, dazu passe es nicht, die Jugendlichen mit dem Gedenken an Tod, Leid und Gewalt zu konfrontieren. Das ist meiner Meinung nach ein gewaltiges Missverständnis. Es gibt nämlich kein Christentum ohne Kreuz. Das wird auch der Weltjugendtag bezeugen. Das Leid der Welt von gestern öffnet unsere Augen für das von heute.

Um was zu erkennen?

Deselaers Wir erleben gerade, wie im Europa der Nachkriegszeit die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen unterschiedlicher Herkunft friedlich zusammenleben, verloren geht. Es gibt wirtschaftliche Krisen, viele Verlierer der Globalisierung weltweit, die sich aus Not nach Europa aufmachen. Die einzige Antwort auf die Krise muss doch sein, dass wir neu lernen miteinander zu leben, nicht uns voneinander abzuschotten. Auschwitz hingegen steht für die Haltung: Wer stört, muss weg. Das führt in die Barbarei. Das große Interesse der Jugendlichen aus der ganzen Welt am Besuch in Auschwitz zeigt, dass uns das Gefühl eint, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Auschwitz ruft uns alle in die Verantwortung. So ist das Vernichtungslager nicht nur ein Ort des Bösen, sondern auch ein Katalysator der Friedensarbeit. Von dort geht auch positive Energie aus.

Sie arbeiten so viele Jahre im deutsch-polnischen Austausch, belasten die politischen Veränderungen in Polen das Verhältnis von jungen Menschen beider Länder?

Deselaers Polen erlebt 25 Jahre nach der Solidarnosc-Bewegung so etwas wie einen Generationenkonflikt, wie es ihn in Deutschland etwa 1968 gegeben hat. Auf die Elterngeneration, die nach der kommunistischen Herrschaft Polen neu gestaltet hat, folgt nun eine Generation, die fragt, wie gründlich die Abrechnung mit der Vergangenheit war, und die negative Folgen der wirtschaftlichen Öffnung zu spüren bekommt. Natürlich sind da auch Fragen an die Europäische Gemeinschaft. In all den Jahren am Zentrum für Dialog und Gebet habe ich aber gelernt, dass Dialog immer möglich ist, wenn wir bereit sind, einander zuzuhören anstatt übereinander zu reden. Eine Kultur des Dialoges zu schaffen, bleibt die große Aufgabe, und der Weltjugendtag wird dazu seinen Beitrag leisten.

(dok)
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