Reality-TV “Urlaub” in der tschechischen Nazi-Hölle

Düsseldorf · Der tschechische Sender CT zeigt ab Samstag ein neues Reality-Format: Eine ahnungslose Familie macht "Urlaub" im von den Nazis besetzten "Protektorat Böhmen und Mähren” von 1939. Die Macher wollen die historischen Ereignisse einem breiten Publikum zugänglich machen. Doch ob die Show als alternativer Geschichtsunterricht taugt, ist fraglich.

Tschechisches Reality-TV: "Urlaub im Protektorat"
7 Bilder

Tschechisches Reality-TV: "Urlaub im Protektorat"

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Man nehme eine Familie, in diesem Fall Opa Jiri und Oma Jarmilla, Onkel Jan, Vater Miroslav und Mutter Ivana sowie die beiden Söhne Marek und Jakub. Fehlt noch der Hund, und die Gruppe ist komplett. Man nehme einen abgelegenen Hof an der tschechischen Grenze zu Polen und der Slowakei. Und man nehme eine Handvoll Schauspieler, die als Gestapo-Mitglieder auftreten. Fertig ist die neue tschechische Reality-TV-Show "Dovolena v Protektoratu”, zu deutsch "Urlaub im Protektorat".

Die sieben Familienmitglieder plus Hund haben sich übrigens freiwillig für die Reality-Sendung gemeldet und mussten sogar ein Casting bestehen - allerdings ohne zu wissen, worum es geht. Nun sollen sie ab dem 23. Mai "Urlaub” machen in einer künstlichen Retro-Welt, in der das Protektorat Böhmen und Mähren wieder besteht und von den Nazis besetzt ist. Die Show spielt im Jahr 1939. Am 15. März dieses Jahres marschierte die deutsche Wehrmacht in das Gebiet ein, das sie später "Protektorat Böhmen und Mähren” nannte.

Hier gibt es Bilder aus der Show.

Das neue tschechische Format erinnert an die ARD-Serie "Schwarzwaldhaus 1902”, in der die Teilnehmer das Leben einer Bauernfamilie aus dem Jahr 1902 authentisch erleben sollten. Ähnlich wie bei der ARD-Sendung muss auch die tschechische Familie ihre Handys abgeben, ihre moderne Kleidung gegen Kleidung aus dem Zweiten Weltkrieg eintauschen und für die nächsten zwei Monate auf dem spartanisch eingerichteten Hof leben. So weit, so ähnlich. Doch im Vergleich zum neuen tschechischen Format war "Schwarzwaldhaus” harmlos.

Denn in der tschechischen Show müssen die Teilnehmer vor der Gestapo zittern. Die Gegend, in der die Serie spielt, war 1939 Schauplatz von Kämpfen zwischen tschechischen Partisanen und den Nazis. Die Familie lebt in dem Teil des Gebiets, in dem die Gestapo damals nicht residierte. Dennoch laufen sie ständig Gefahr, den Schikanen der Nazis ausgesetzt zu werden.

Authentischer Geschichtsunterricht?

Insgesamt sollen acht Folgen gezeigt werden. Der Sender CT, der die Serie produziert, sagt, er wolle einen besonders authentischen Geschichtsunterricht bieten. Die Show richte sich vor allem an diejenigen Zuschauer, die die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung nicht selbst miterlebt haben.

Bereits vor Ausstrahlung der ersten Folge hagelt es Kritik. Einige empfinden die Show als Verhöhnung derjenigen, die die Zeit damals wirklich miterlebt haben. Das Geschehen werde verharmlost, schließlich wisse die Familie, dass die Gestapo-Mitglieder Schauspieler seien und ihnen nicht wirklich etwas antun würden - anders als die Tschechen, die 1939 in Angst vor den Übergriffen der Nationalsozialisten leben mussten.

Warum sich die Familie auf dieses Abenteuer eingelassen hat? Das Honorar könnte ein Grund sein. Es beträgt eine Million tschechische Kronen, umgerechnet rund 35.000 Euro. Das Geld gibt es, so schien es vielleicht beim Casting für die Reality-Show, für 60 Tage "Urlaub”. Könnte sein, dass die Teilnehmer das nach den ersten Tagen im "Protektorat Böhmen und Mähren” schon anders sehen.

(lsa)
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