Biografie vor der Veröffentlichung Das neue Leben des Intensivtäters "Mehmet"

München · Als 14-Jähriger wurde Muhlis Ari aus München in die Türkei abgeschoben – in ein Land, das er nicht kannte. Mit dem Tarnnamen "Mehmet" beherrschte er die Schlagzeilen. Nun hat er seine Geschichte aufgeschrieben.

 Muhlis Aria alias "Mehmet" hat seine Lebensgeschichte aufgeschrieben.

Muhlis Aria alias "Mehmet" hat seine Lebensgeschichte aufgeschrieben.

Foto: dpa, Peter Kneffel

Als 14-Jähriger wurde Muhlis Ari aus München in die Türkei abgeschoben — in ein Land, das er nicht kannte. Mit dem Tarnnamen "Mehmet" beherrschte er die Schlagzeilen. Nun hat er seine Geschichte aufgeschrieben.

Muhlis Ari vermisst Deutschland eigentlich nicht. "Nur Currywurst und Krapfen — und natürlich Leberwurstsemmeln", erzählt er Reportern des "Zeit"-Magazins, die ihn in der türkischen Industriestadt Cerkezköy besucht haben. Diese Stadt liegt knapp 100 Kilometer westlich von Istanbul entfernt — und dort versucht Muhlis Ari als Geschäftsmann ein normales Leben zu führen.

Wenn er aber von den kulinarischen Erinnerungen an seine Geburtsstadt München spricht, redet er immer noch mit einem bayerischen Akzent. Muhlis Ari war ein Kind, das die Polizei als "Intensivtäter" führt. 61 Mal fällt er in den 90er Jahren auf: Er stiehlt, er schwänzt die Schule und prügelt. Und er steht nie vor Gericht, weil Kinder unter 14 in Deutschland strafunmündig sind.

Muhlis, den die Behörden zum Schutz seiner Identität "Mehmet" genannt haben, löst eine Debatte über den Umgang mit kriminellen Menschen mit ausländischem Pass aus und beherrscht monatelang die Schlagzeilen. Seine Freunde und er lesen über Mehmet in der Zeitung und fragen sich, wer wohl dieser Junge ist, der doch bei ihnen im Viertel wohnen muss. "Dass ich dieser Mehmet war, von dem man hin und wieder in der Zeitung las, konnte ich nicht glauben." Mit zehn bricht er einem anderen Jungen im Fußballverein die Nase. "Es war eine Rangelei, ich traf den Jungen zufällig an der Nase."

Unbekanntes Land

Kaum ist er 14 Jahre alt geworden, kommt er vor Gericht. Er wird wegen schwerer Körperverletzung verurteilt und kurz darauf abgeschoben — in ein Land, das er eigentlich nur aus Urlauben oder den Erzählungen seiner Eltern kennt und dessen Sprache er nicht gut beherrscht. In seinem Buch "Sie nannten mich Mehmet", das nächste Woche erscheint, schreibt er: "Ich war ein verdammter Bayer, was sollte ich in der Türkei?" Er fühlt sich als Opfer von Politikern. Der damalige Innenminister Günther Beckstein habe an ihm ein Exempel statuieren wollen, um im Wahlkampf zu punkten.

Der Ausgewiesene landet in Istanbul, begleitet von einem Tross Journalisten. Er ist 14 Jahre alt, die türkischen Behörden wollen ihn ebenso wenig wie die deutschen. Er bekommt einen Job bei einem Musiksender — obwohl er kaum Türkisch kann — und genießt seinen fragwürdigen Ruhm. Später erklärt das Bundesverfassungsgericht die Abschiebung für illegal, und Muhlis alias Mehmet darf 2002 wieder zurückkehren. Der Jugendliche, an dem sich Dutzende Sozialarbeiter versucht haben, bekommt die Kurve und holt seinen Schulabschluss als Klassenbester nach. 2005 wird er aber wegen neuer Taten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Vor dem Haftantritt flieht er in die Türkei.

Er lebt bei seinen Eltern

Dort lebt Muhlis Ari seitdem, er hat in der Heimat seiner Eltern den Militärdienst abgeleistet. Seine Eltern haben in Cerkezköy ein Haus gebaut, der 29-Jährige lebt in einer Wohnung im ersten Stock. Die Eltern sind Rentner und verbringen den Sommer dort, den Winter in München. Mittlerweile bezeichnet sich Muhlis Ari als Geschäftsmann. Zunächst eröffnete er eine Paintball-Anlage, auf der sich Menschen mit Farbkugeln abschießen — sie floppte. Nun vermittle er Grundstücke und verkauft Gebrauchtwagen. "Immobilien, Autos, Vergnügen — das ist alles, was hier geht."

Weil der Haftbefehl aus dem Jahr 2005 (18 Monate Gefängnis) aussteht, kann Muhlis Ari nicht nach München zurück. Er würde am Flughafen festgenommen. Deshalb bittet er um Aufhebung des Haftbefehls: Er will nach Deutschland — aber nur, um sein Buch auf der Frankfurter Buchmesse vorstellen zu können. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat schon gesagt, dass er Mehmet nicht in Bayern haben wolle.

Leben möchte der 29-Jährige dort nicht. "Ich würde nur gern mal wieder in München einen Kaffee trinken." In Deutschland sehen in ihm viele nur Mehmet, sagt er. Das ist die Erfahrung der vergangenen 15 Jahre: Wo Muhlis Ari hinkommt, ist Mehmet schon da. Er schreibt: "Das Problem ist, dass Mehmet sich im Gegensatz zu Muhlis nicht ändern kann. Oder es vielleicht nicht gewollt wird, dass er sich ändert."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort