Fußball Jeder Umweg war ein Schritt nach vorne

Remscheid · Mit Christoph Kramer wurde ein Solinger in Rio de Janeiro Fußball-Weltmeister. Sein Werdegang verlief bemerkenswert.

Gladbacher Kramer feiert mit dem WM-Pokal
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Sie zählt zu den kuriosesten Geschichten rund um den vierten WM-Titel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die Geschichte von Christoph Kramer. Aber ein Märchen ist sie nicht. Jedenfalls nicht für Sascha Lewandowski. "Der Begriff ,Märchen' klingt immer so, als wenn ihm das alles einfach zugeflogen wäre, aber Chris hat sich das sehr hart erarbeitet", sagt Bayer Leverkusens Nachwuchs-Cheftrainer. Lewandowski verfolgt Kramers Entwicklung seit vielen Jahren aus nächster Nähe. Es ist eine Karriere voller Umwege. Aber jeder Umweg war ein Schritt nach vorn.

Als Lewandowski 2007 die Leverkusener A-Jugend übernahm, holte er im Jahr drauf Kramer von Fortuna Düsseldorf zurück. Bei Bayer war der gebürtige Solinger 2006 zuvor gewogen und für zu leicht befunden worden. Bei Fortuna kickte er auch in der B 2. "Als ich damals mit ihm über eine Rückkehr sprach, war das sehr unkompliziert. Er äußerte sogar Verständnis dafür, dass man bei Bayer 04 nicht mehr mit ihm geplant hatte", erinnert sich Lewandowski. Was Lewandowski schon damals an Kramer gefiel, waren seine Bereitschaft, viel zu laufen, und seine Zweikampfstärke. "Er war noch sehr ungeschliffen", sagt Lewandowski. Also schliffen sie ihn.

Als Kramer aus der Jugend kam, war die Profimannschaft trotzdem noch weit entfernt. Er spielte fortan in der U 23. Schließlich wechselte er 2011 auf Leihbasis zum VfL Bochum in die Zweite Liga. Weil Lewandowski in Bochum lebt, verfolgte er Kramers Entwicklung weiter im Detail. Immer noch unbeachtet vom Großteil der deutschen Fußballöffentlichkeit wurde er Stammspieler und avancierte neben Super-Talent Leon Goretzka zum besten VfL-Spieler. Goretzka hat Kramer es letztlich auch zu verdanken, dass es mit der weitgehenden Nicht-Beachtung seiner Leistung irgendwann zu Ende war: Weil Scouts aus ganz Europa zu Bochumer Heimspielen reisten, um Goretzka zu sehen, fiel ihnen schnell auch der Schlaks auf, dessen Pferdelunge ein schier unbegrenztes Fassungsvermögen aufzuweisen schien.

Als das Leihgeschäft mit Bochum im vergangenen Sommer auslief, flatterte Bayer 04 zur Überraschung vieler ein Angebot von Benfica Lissabon ins Haus. Sie wollten Kramer kaufen. Für drei Millionen Euro. Ein Verein aus Italien wurde ebenfalls vorstellig. Doch Bayer wollte nicht. Die Überzeugung war gereift, dass man den Daumen auf diesem Talent halten sollte. Einen Pierre-Michel Lasogga hatte man 2010 ziehen lassen. Einen Kevin Kampl - ebenfalls Solinger - hatte man gerade abgegeben. Beide sind heute viele Millionen wert. Deswegen entschied sich die sportliche Leitung der Farbenstädter in der Personalie Kramer nun für ein Leihgeschäft mit dem Ligarivalen Borussia Mönchengladbach. Lucien Favres systematischer, geordneter Ballbesitzfußball tat Kramer gut. Er verlor an Hektik. Er gewann an Sicherheit. Kramer wurde auf Anhieb Stammspieler. Sie mögen ihn in Gladbach. Für seine laufintensive Spielweise. Und für seine geerdete Art neben dem Platz. "Ich war überzeugt, dass er ein guter Bundesligaspieler wird, aber dass es so rasant aufwärts ging, konnte ja keiner ahnen", sagt Lewandowski.

2015 kehrt Kramer zu Bayer zurück. Diesmal planen sie fest mit ihm. Bei den Profis. Sie sind froh bei Bayer, einen wie ihn bei sich zu wissen. Einen, der Minuten nach dem WM-Gewinn vor laufender Fernsehkamera sagte: "Ich muss einen Gruß an meine Oma senden. Die hatte Geburtstag, und ich habe sie nicht erreicht."

(RP)
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