Neuss Überdrehte Farce von der Lust am Scheitern

Neuss · Esther Hattenbach hat die Komödie "Macht der Gewohnheit" von Thomas Bernhard am RLT inszeniert. Ein gelungener Abend.

 Einer der wenigen Momente, in denen Direktor Caribaldi unterzugehen droht. Er hält aber nicht lange an.

Einer der wenigen Momente, in denen Direktor Caribaldi unterzugehen droht. Er hält aber nicht lange an.

Foto: Björn Hickmann

Ob das ein Zeichen ist? Der Musiker Matthias Mainz sitzt an seinem Keyboard auf einem überdimensionalen "E", ein Bein baumelt an der Seite runter - so wie bei einem Kasperle. Und tatsächlich: Ein bisschen Kaspertheater ist es irgendwie schon, was Esther Hattenbach mit ihrer Inszenierung der Komödie "Macht der Gewohnheit" von Thomas Bernhard im RLT auf die Bühne stellt. Einen leichten Einstieg bietet sie nicht.

Joachim Berger als Zirkusdirektor Caribaldi und Henning Strübbe als Jongleur legen die Basis mit ihrem Dialog, der indes weniger gespielt als vielmehr kunstvoll gesprochen wird. Da passt es zwar, dass sie ein Mikro nutzen, aber alles andere gerät nah an Manierismus: der Singsang, das demonstrativ Ausgestellte der Sprache und der Macht-Konstellation. Caribaldi herrscht, die anderen kuschen. Der Jongleur, seine Enkelin, der Dompteur und der Spaßmacher sind unersetzliche Elemente einer Therapie, mit der Caribaldi ein Desaster verarbeitet. Die von ihm früher in der Manege vorgeführten Pferde hörten eines Tages nicht mehr auf seinen Peitschenknall. Stattdessen soll nun mit den vier Artisten das "Forellenquintett" von Franz Schubert gelingen. Unbedingt und in absoluter Perfektion. Und so peitscht er die Vier zu ständig neuen Proben.

Die Abhängigkeiten sind groß genug, die Ausbruchsversuche kläglich. So führt der Jongleur zwar ein Angebot des Zirkus Sarrasani als Tür nach draußen an, wird aber abgebügelt: Dieses sei wie seine Vorgänger nur gefälscht. Gleichwohl hält der geschlagene Jongleur den Brief hoch wie die amerikanische Freiheitsstatue die Fackel, während Caribaldi ihm seine Verachtung entgegenschleudert.

Mit diesem Bild zieht die Inszenierung an. Und rein in den skurrilen Kleinkrieg des Direktors mit dem devoten Jongleur, dem tumben Spaßmacher (Michael Großschädl), der sprachlosen Enkelin (Sigrid Dispert) und dem kraftstrotzenden Dompteur (Pablo Guaneme Pinilla). Kostümbildnerin Alide Büld hat da für sehr schöne Entsprechungen gefunden: ein Dirndloberteil (aber Netzstrümpfe) für die Enkelin, einen Boxer-Kopfschutz für den Dompteur, einen sackähnlichen Overall für den Jongleur, ein frackartig geschnittenes Glitzerhemd für den Direktor, ein weißes Trikot-Etwas für den Spaßmacher.

Regisseurin Hattenbach bleibt auf Distanz zu den Figuren, hält sie weiterhin abstrakt. Ihr Spiel ist ein Spiel im Spiel, bekommt zunehmend absurde Züge und legt dadurch umso schonungsloser offen, dass keiner von ihnen aus seiner Haut will und kann. "Wir wollen das Leben nicht, aber es muss gelebt werden. Wir hassen das Forellenquintett, aber es muss gespielt werden", ist einer von vielen Kernsätzen des Stücks, mit denen Thomas Bernhard aus Gegensätzen Paare macht. Das Komödiantische der Vorlage dreht Hattenbach zu einer fast grellen Farce, schleudert dabei die Wahrheit heraus: Scheitern ist auch ein Lustgewinn.

Bühnenbildner Sven Schlötcke hat dafür einen Raum geschaffen, der irgendwo hinter der Manege liegt. Ein Proberaum für die Musik und das Leben, gespickt mit großen Buchstaben, die auch mal "NEUSS" ergeben. Die Vergeblichkeit des Tuns lauert eben überall. Nicht nur in Augsburg, wo der Zirkus als nächstes gastiert: "Morgen Augsburg" heißt es immer wieder, mal hoffnungsvoll, mal resignierend.

Diese seltsame Menage à cinq, diese Schicksalsgemeinschaft an der Kette des Schubertschen Florenquintetts, wird von den fünf Schauspielern mit Raffinesse und vielen kleinen und wunderbaren Gesten getragen. Dispert, Strübbe, Pinilla und Großschädl zeigen ebenso viel Sinn für das Subtile wie Spaß an dem Anarchischen in ihren Figuren. Berger ist ein herrlich arroganter Großkotz. Überzogen als Abbild eines Menschenverächters, eitel und selbstherrlich bis zur Karikatur und doch ein armseliger Wicht, weil er die Macht über andere zum Leben braucht.

Der Schluss passt: Im Original wirft Caribaldi seine Artisten entnervt raus, hört just in dem Moment das Florellenquintett im Radio. Bei Hattenbach geht alles auf Anfang. Neues Spiel, neues Glück. Oder auch nicht.

(NGZ)
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