Neuss Pionierin unter lauter Rathaus-Männern

Neuss · Sie hat Stadtgeschichte geschrieben: Ulrike-Michaela Wirtz wurde vor 30 Jahren als erste Frau in Neuss ins Beigeordneten-Kollegium gewählt.

Dass mindestens ein Drittel der Aufsichtsräte deutscher Großunternehmen weiblich sein muss, wird bald Pflicht. Auch die Parteien haben sich Frauenquoten und Frauenquoren auferlegt, wenn es gilt, Ämter zu besetzen und Kandidaten aufzustellen. "Es geht auch ohne Quote", sagt Ulrike-Michaela Wirtz, "Qualifikation und Leistung ist letztlich entscheidend." Die resolute 70-Jährige muss es wissen, denn sie brach einst in eine Männerphalanx ein. Vor 30 Jahren, Anfang März 1985, trat sie als erste Frau auf der Chefetage des Neusser Rathauses ihren Dienst an. Wenige Wochen zuvor war sie vom Stadtrat einstimmig (!) zur Beigeordneten für Soziales und Jugend gewählt worden. Bei Amtsantritt war sie 39 Jahre jung.

Heute lebt Ulrike-Michaela Wirtz zurückgezogen in Bochum; gibt keine Interviews ... aber für die NGZ machte sie eine Ausnahme, ließ sich auf ein Telefonat ein, "weil ich noch so nette Erinnerungen an Neuss habe." Die Atmosphäre und das Arbeitsklima im Rathaus seien damals "einfach gut" gewesen. Sie habe sich zu keinem Zeitpunkt als Quotenfrau gefühlt, sondern sie sei voll akzeptiert gewesen. Sie nennt ein Beispiel: Als Stadtkämmerer Rolf Wiese im Sommer 1985 nach Hannover wechselte, sei sie als Neuling bereits zur Kämmerin bestellt worden.

Es dauerte bis 2004, ehe in Neuss mit Christiane Zangs zum zweiten Mal eine Frau ins Beigeordneten-Kollegium gewählt wurde. Die fühlt sich im Kreis der Kollegen wohl: "Ich bin voll akzeptiert." Von Ulrike-Michaela Wirtz habe sie gehört, sie sei ihr aber nie begegnet.

Eine, die sich lebhaft an Ulrike-Michaela Wirtz erinnert, ist Stadtverordnete Angelika Quiring-Perl (68, CDU) - damals wie heute Gleichstellungsbeauftragte des Rates: "Frau Wirtz war kompetent, leistungsbereit und nett." Aber Fragen der Gleichstellung seien ihr nur schwer verständlich gewesen: "Sie wusste, dass sie mehr zu bieten hatte, als nur Frau zu sein." So sei sie, erinnert sich Quiring-Perl heute, mit ihrem Vorschlag bei Wirtz abgeblitzt, auf dem Büroschild deren Namenszug mit der Bezeichnung "Dezernentin" zu kombinieren: "Da stand Dezernent. Ulrike-Michaela Wirtz wollte es so." Bürgermeister Herbert Napp, damals junger Ratsherr, erinnert sich, wie überrascht er reagierte, "dass uns Stadtdirektor Schmitt eine Frau präsentierte."

Die Juristin Wirtz hat sich in ihrer Karriere immer in einer Männerwelt bewegt und behauptet. Dass das Ende der 1970er- und Anfang der 1980er Jahre etwas besonderes war, mag sie auch heute nicht bestätigen: "Ja, es gab wenige Frauen in Spitzenfunktionen der öffentlichen Verwaltung, aber ich habe mich immer in ganz normalen Bewerbungsverfahren durchgesetzt." Sie war Erste Beigeordnete in Heiligenhaus, ehe sie nach Neuss wechselte. Bereits 1987 zog es sie als Rechtsdezernentin nach Herne. Warum der Abschied aus Neuss nach so kurzer Zeit? "Ich wollte und musste näher an meine Eltern heranziehen."

Internationaler Frauentag oder Gleichstellungsbeauftragte - Stichworte, die Ulrike-Michaela Wirtz nicht sonderlich spannend findet. Sie räumt ein, dass über solche Angebote den Frauen "Chancengleichheit erleichtert" wird, aber sie bleibt dabei: "Entscheidend ist doch, was ich in meinem Job bringe."

Dem widerspricht auch Bürgermeister Napp nicht. Er habe mit den beiden Damen im Verwaltungsvorstand, der Beigeordneten Christiane Zangs und Dezernentin Dolores Burkert, "nur gute Erfahrungen" gemacht. Napp fordert vielmehr die Männer in der Politik auf, dafür zu sorgen, "dass endlich mehr Frauen auch in die Führung der Parteien aufrücken." Was für einen Aufsichtsrat richtig sei, könne auch jedem Parteigremium "nur gut tun".

(NGZ)
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