Neuss Baby Henri braucht Intensiv-Schwester

Neuss · Seit seiner Frühgeburt vor sieben Monaten wird Henri Derlam nur in Krankenhäusern betreut. Er ist dabei, sich einen Weg in sein Leben zu kämpfen und könnte auch zu seinen Eltern. Doch für eine Betreuung rund um die Uhr finden die keine Helfer. Es gibt kein Angebot der Pflegedienste.

 Anabel Derlam und ihr Partner Jelko Luksch würden mit Sohn Henri gerne das Krankenhaus verlassen.

Anabel Derlam und ihr Partner Jelko Luksch würden mit Sohn Henri gerne das Krankenhaus verlassen.

Foto: Berns

An Henris Bettchen auf der Kinder-Intensivstation des Neusser Lukaskrankenhauses hat jemand zwei winzige Boxhandschuhe gehängt. "Er ist ein Kämpfer", sagt Mutter Anabel zärtlich. Das muss er von ihr haben. Denn genauso zäh, wie sich der viel zu früh geborene Henri einen Weg in sein Leben kämpft, genauso beharrlich ringen seine Eltern darum, ihn möglichst bald nach Hause zu holen.

Das scheitert bislang weder am guten Willen der Ärzte noch dem der Krankenkasse und inzwischen auch nicht mehr am Gesundheitszustand des Jungen, der seit seiner Geburt am 12. November 2010 nur in Krankenhäusern gelebt hat. Es ist ein strukturelles Problem, das die Familie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringt: Es findet sich kein Pflegedienst. Nach wochenlangen und am Ende erfolglosen Bemühungen gehen Anabel Derlam (39) und ihr Lebensgefährte Jelko Luksch (37) deshalb ungewöhnliche Wege. Sie werden Unternehmer in eigener Sache.

"Henri Derlam will nach Hause" inserierten sie am Samstag in dieser Zeitung. Und zwar dort, wo jeder hinschaut: unter den Familienanzeigen. "Im Stellenmarkt wäre das vielleicht nicht so aufgefallen", erklärt Anabel Derlam ihr Kalkül. Dabei ist das Inserat nicht mehr und nicht weniger als eine Stellenanzeige. Gesucht werden Kinderintensivkrankenschwestern oder -pfleger, die die Eltern dabei unterstützen, für Henri eine Betreuung rund um die Uhr zu organisieren. Als Angestellte der Eltern, die selbst, so sagen sie, bis zu 14 Stunden des Tages abdecken könnten.

Henris Problem sind Schluckbeschwerden. Vermutlich deshalb kommt es in unregelmäßigen Abständen zu "Abstürzen". "Kleinen Ohnmachten", wie der Vater sagt, in denen die Atmung stockt, der Sättigungsgrad des Blutes mit Sauerstoff rapide abnimmt. Henri wird dann blau im Gesicht. Absaugen des Schleims und etwas Sauerstoff holen das Kind schnell zurück. Diese Handgriffe beherrschen inzwischen auch die Eltern. Aber jeder dieser Zwischenfälle zeigt ihnen auch: Selbst wenn sie ihren Sohn mitnehmen können — alleine lassen kann man ihn keinen Augenblick. Dass es der Junge überhaupt so weit gebracht hat, ist für die Eltern ein doppeltes Wunder. Sein Zwillingsbruder Julius kam schon in der 19. Schwangerschaftswoche zur Welt — und starb.

Dass die Mutter Henri halten konnte, sei ein medizinischer Sonderfall, so wurde ihr erklärt, der nur alle 20 Jahre eintritt.

Vier Wochen später wurde sie in die Kölner Uniklinik verlegt, die sich auf Frühstgeborene spezialisiert hat. Tags drauf, am 12. November, kam Henri in der 23. Schwangerschaftswoche zur Welt, gerade einmal 27 Zentimeter groß und nur 445 Gramm schwer. Er überlebte — Wunder Nummer zwei für die Eltern. Ob er Beeinträchtigungen zurückbehalten hat, kann noch keiner sagen. Immerhin: Die ganzen "Gruselkrankheiten", so die Mutter, die Frühgeborene haben können, gingen an ihm vorbei. Heute hat Henri, der im Mai ins Lukaskrankenhaus verlegt wurde, mit 3800 Gramm Körpergewicht und 54 Zentimeter Länge die Werte eines "normalen" Neugeborenen erreicht.

Und in gleichem Maße, in dem sich der Zustand des Jungen besserte, wuchs auch das medizinische Wissen der Eltern. "Die Eltern machen hier eine Crash-Ausbildung", sagt Rüdiger Wentzell, Oberarzt für Kinderintensivmedizin im "Lukas". Wenn sie dann mit ihrem Kind nach Hause gehen, "könnten sie auch bei uns arbeiten",

Diese Einbeziehung der Eltern ist neu in der Frühgeborenenmedizin. Früher, so Wentzell, "haben die Krankenhäuser diese Kinder gehortet und dann irgendwann übergeben: Da, jetzt ist es gesund." Heute gehe man dagegen davon aus, dass die Eltern von Frühgeborenen genug Kompetenz erwerben können, um sich um ihre Kinder zu kümmern. So wie Anabel Derlam und Jelko Luksch, die sich jetzt für einige Tage im "Lukas" einquartiert haben und dort allein für Henri verantwortlich sind. Ein letzter Schritt vor Henris Umzug ihn sein Zuhause?

"Er ist so alt, dass er von den Reizen zu Hause mehr profitieren wird", sagt Wentzell. Aber ohne Helfer müsste er bleiben.

Doch vielleicht hat er ja wieder Glück: Auf die Annonce gingen drei Anfragen ein.

(RP)
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