Serie Denkanstoss Bunte, fromme, offene, rebellische Kirche

Mönchengladbach · Die Leiterin der Philippus-Akademie des evangelischen Kirchenkreises wagt einen ganz persönlichen Rückblick auf das Reformationsjahr. Ihr Ergebnis: Ökumene ist doch eigentlich eine feine Sache.

Jetzt wird es langsam ruhiger im Reformationsjahr. Wir Evangelischen haben in den zurückliegenden Monaten über Reformation nachgedacht, gesungen, gepredigt, gelesen, geschrieben. Viele Veranstaltungen haben sich mit reformatorischen Themen beschäftigt, wir haben sogar die "Frauen der Reformatoren" entdeckt und manches Lutherbonbon gelutscht.

Unsere große Synode in der Hauptkirche mit Delegierten aus vielen Ländern hat einen Aspekt von "Reformation heute" gezeigt: Wir leben nicht mehr "für uns" hier in Europa, in Deutschland oder in Rheydt, sondern wir leben miteinander auf dieser Welt. Die Schwierigkeiten des Glaubens, wie des Lebens teilen wir. Sie sind so verschieden, wie unsere Herkunft und doch in mancher Hinsicht vergleichbar. Mitgliederschwund und Glaubensverlust - das teilen manche Partnerkirchen als Sorge genauso, wie die Freude an spiritueller Erneuerung und am Gebet. Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption, der Umgang mit Extremismus und Fundamentalismus, auch das findet sich in manchen Stellungnahmen. Das Vertrauen auf das Jesaja Wort: "Gottes Wort kehrt nicht wieder leer zu ihm zurück" - wir teilen es. Über diese Aspekte des Kirche-Seins und des Glaubens in dieser Vielfalt ins Gespräch zu kommen - klasse!

Das Fest der Begegnung hat den Rahmen noch erweitert: Wo Menschen verschiedener Religionen zum Feiern zusammenkommen, entsteht eine Gemeinschaft, die im Spiegel mancher fundamentalistischer Bewegungen einfach nur schön, hoffnungsfroh und hell ist.

So wollen wir es immer. Für mich war darüber hinaus aber die Begegnung mit unseren katholischen Geschwistern ein besonderes Highlight. Wir haben es nämlich geschafft!! Wir haben zusammen gefeiert, ohne dass es diplomatisch schwierig geworden ist. Keine Diskussion darüber, wer nun Kirche ist, warum und ob überhaupt. Keine Hackentritte in die eine oder andere Richtung: einfach ein sehr freundschaftlicher, geschwisterlicher und offener Umgang, auch kritisch, auch selbstkritisch. Inzwischen haben wir in der Stadt und darüber hinaus sogar ökumenische "Zeichen"! Wir benutzen in vielen Gottesdiensten ein kostbares Tischtuch und ein wunderbares Evangeliar, mit deren gemeinsamer Verwendung wir ausdrücken, dass wir zusammen gehören und zusammen sein wollen, auch wenn es da noch ein paar Dinge zu klären gibt - wobei ich ja finde, dass wir diese Klärung nicht "den Oberen" überlassen sollten. Veränderung ist noch immer durch kreativen Druck entstanden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Auf jeden Fall hat sich gezeigt, dass versöhnte Verschiedenheit - so, wie die Charta Oecumenica es beschreibt - ein riesiges Geschenk ist, weil wir so auch Platz für Vielfalt haben. Wir müssen gar nicht so werden, wie die anderen! Aber wir dürfen von ihnen annehmen, was uns Freude macht und mit ihnen feiern, was uns gemeinsam ist. Und was uns noch nicht gemeinsam ist - da müssen wir ran! Denn etwas gemeinsam zu haben, heißt ja noch lange nicht, dass alles gleich ist - im Gegenteil! Für mich war das in den letzten Wochen die gelebte reformatorische Grunderkenntnis: ecclesia semper reformanda: "Die Kirche ist immer zu reformieren"! Zusammen sind wir eine bunte, fromme, rebellische und offene Kirche! DAS ist Reformation.

(RP)
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