Adventsreihe Haltepunkte Schweigen ist Gold und stiftet Gemeinschaft

Mettmann · Gerade in der Adventszeit finden Menschen in der Evangelischen Stadtkirche zu Ruhe und Besinnung. Eine Beobachtung.

 Im Dezember lädt die evangelische Kirchengemeinde traditionell zum "anderen Advent" in die Stadtkirche ein.

Im Dezember lädt die evangelische Kirchengemeinde traditionell zum "anderen Advent" in die Stadtkirche ein.

Foto: A. Blazy

ratingen Die junge Frau mit den Einkaufstüten findet ihren Platz hinten links. Sie trägt einen Schal, eine warmhaltende Jacke und dazu winterfeste Schuhe. Wie sie schnellen Schrittes in die Kirche kommt, sich eine Bank aussucht und sich in aller Abgeschiedenheit, die sie in der kleinen Kirche finden konnte, niederlässt, wirkt sie, als habe sie den ganzen Tag auf diesen Moment gewartet. Ruhe. Stille. Ein bisschen auch Einsamkeit. Am Ende eines womöglich kräftezehrenden Tages findet sie endlich wenige Augenblicke, die nur ihr gehören.

Dabei ist sie ganz und gar nicht allein. Etwa 40 Besucher haben an diesem Abend den Weg in die Evangelische Stadtkirche gefunden. Wer seinen Blick schweifen lässt, der merkt: Die Gruppe ist zweigeteilt. Vorne auf den ersten Bänken sitzen Paare und Gruppen, ihr Altersschnitt unter dem der klassischen Kirchenbesucher. Dahinter, im mittleren Teil des Gotteshauses, einzelne Gäste - vor allem aber auch ältere. So verschieden die Menschen auch sind, eines haben sie gemeinsam. Sie schweigen.

Genau so ist das an diesem Abend auch gewollt. Im Dezember hat die Evangelische Kirchengemeinde Ratingen zum "Anderen Advent" eingeladen. Jeweils für eine halbe Stunde am Abend können Besucher werktags in der Stadtkirche verweilen, und die Zeit zur Besinnung und stillen Andacht nutzen. Der Raum ist mit Kerzen ausgeleuchtet, es herrscht besinnliche Stimmung - der Rest ist Stille.

Unterbrochen wird sie nur selten. Einmal schreitet eine Frau auf hohen Absätzen von vorn nach hinten durch den Raum. Klack, klack, klack, klack. Vereinzelt flüstern sich Besucher etwas zu, die Gespräche aber werden auf eine Minimalanzahl begrenzt. Es scheint, die Menschen haben sich auf eine Formel geeinigt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Nach ein paar Minuten betritt ein Paar mittleren Alters die Kirche. Die beiden nehmen Platz auf einer der Bänke, dann blicken sie nach vorn zum Altar. Sie wirken geschafft, und doch zufrieden. Für einen kleinen Moment legt sich sogar ein Lächeln auf die Lippen der Frau. Glückseligkeit braucht nicht viel - ein Moment der inneren Einkehr reicht manchmal aus. Wer durch die Reihen blickt und die vielen Menschen sieht, die sich an einem Montagabend die Zeit nehmen, eine halbe Stunde in der Kirche zu verweilen, dem zwängt sich eine Frage auf: Was treibt die Menschen hierher? Schweigen, zur Ruhe kommen - das geht doch auch zuhause. Oder nicht?

Es scheint die besondere Atmosphäre zu sein, die die Besucher in die Stadtkirche - aber auch in so viele andere Gotteshäuser - lockt. Kein Smartphone, kein Fernseher, kein Radio. Nur die Stille - und später eine kurze Geschichte, von der Kanzel aus vorgetragen.

Die junge Frau mit den Einkaufstüten scheint sich angesprochen gefühlt zu haben.

(tsp)
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