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Albert Wunsch "Kinder dürfen kein Störfaktor sein"

Langenfeld · Der Erziehungswissenschaftler und -berater wirbt Montag in Monheim für aktive Elternschaft und genügend Familienzeit.

 Berät Familien: Buchautor Albert Wunsch.

Berät Familien: Buchautor Albert Wunsch.

Foto: Woitschützke

Für Ihren Vortrag stellen Sie die provokante Frage "Kinder als Störfall in der Partnerschaft?" Störfall, da denkt man an Atomunfälle. Worauf zielen Sie mit dem drastischen Begriff ab?

Wunsch Wenn zu viele politische Kräfte im Verbund mit Wirtschafts-Lobbyisten daran arbeiten, dass Babys möglichst schon mit acht Wochen in die Krippe zu geben sind, dann sollten wir damit rechnen, dass sich Kinder als Störfall fühlen. Als Hundewelpen würde ihnen jedenfalls eine wesentlich längere Verweilzeit im Umgang mit der Mutter bzw. den Eltern zugesichert.

Es gibt heute (relativ) mehr Einzelkinder als früher. Ist das "Störfall"-Risiko bei ihnen tendenziell höher?

Wunsch Sicher ist, dass Einzelkindern wesentliche Lebenserfahrungen im Vergleich zu Geschwisterkindern fehlen. Da heutige Einzelkinder fast ausnahmslos das Ergebnis von Verhütungs-Entscheidung sind, werden solche Eltern sie entweder überbordend hochstilisieren oder aber unter beruflichen Aspekten eher als Störfall sehen. Untersuchungen belegen, dass die wenigsten Kinder bei den wohlhabendsten Menschen bzw. Völkern geboren werden. Wenn jedoch in einer Gesellschaft eine berufliche Karriere und ein hoher Lebensstandard als erstrebenswert betrachtet werden, dann sind Kinder einfach störend.

Fällt es späten Eltern schwerer als jungen, auf Familie umzuschalten?

Wunsch Wenn Menschen länger kinderlos leben und sich in dieser Zeit stark mit den Annehmlichkeiten einer Spaß-, Freizeit- und Konsumgesellschaft arrangiert haben, dann wird Umstellung nicht leicht sein. Denn die Möglichkeit, über die vorhandene Zeit frei zu entscheiden, wird durch ein Kind radikal reduziert. Auch das einsetzbare Geld wird reichlich knapper.

Manchmal hat man den Eindruck, "studierte" Eltern tun sich mit der Umstellung besonders schwer . . .

Wunsch Akademisch gebildete Eltern besitzen vielleicht einerseits breitere intellektuelle Voraussetzungen, sich auf die Lebensbedürfnisse von Kindern einzustellen. Andererseits ist der gesellschaftliche Druck dort viel größer, die Berufstätigkeit so uneingeschränkt wie möglich weiter auszuüben. Das wirkt sich natürlich auf den Umgang mit Kindern aus.

Sind es eher die Mütter oder die Väter, die von ihrem "alten Leben" ohne Kinder nicht lassen wollen?

Wunsch Rein biologisch sind die Mütter natürlich erst mal stärker involviert. Väter stehen zu Beginn der neuen Verantwortungsrolle noch viel stärker im bisherigen Leben. Wie sich die Dinge weiter entwickeln, hängt dann von den jeweiligen beruflichen Eingebundenheiten und anderen persönlichen Voraussetzungen ab. Beide müssen sich aber von ihrem bisherigen Leben recht umfangreich für etliche Jahre verabschieden.

Wieviel intensive "Familienzeit" sollten sich Eltern denn nach der Geburt ihres Kindes im Idealfall nehmen — falls sie können?

Wunsch Hierzu hat die internationale "My way"-Stiftung, die für aktive Elternschaft wirbt, eine Formel entwickelt: 9 + 36 = 90. Neun Monate Schwangerschaft und die ersten 36 Monate nach der Geburt machen 90 Prozent von dem aus, was Kinder und Jugendliche im weiteren Leben — ob unter positivem oder negativem Vorzeichen — prägt. Die Bindungsforschung belegt diese Fakten seit vielen Jahren. Ergänzend verdeutlicht der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann die Sonderstellung des Menschen als "physiologischer Frühgeburt". Forschungsergebnisse unterstreichen, dass ein Fötus eigentlich erst nach 16 Monaten geboren werden dürfe. Insoweit sehe ich mich nicht als Kritiker einer zu frühen Fremdbetreuung, sondern als Unterstreicher einer angemessenen Eltern-Kind-Beziehung als der Startvoraussetzung jeglicher Bildungsprozesse.

Die Familienpolitik in Deutschland läuft aber in Richtung Außerfamiliäre Kleinkind-Betreuung . . .

Wunsch Das Kind wird aus dieser Perspektive geradezu als Störfall betrachtet. Auch lautstarke Wirtschafts-Lobbyisten geben hier den Ton an. Und damit Eltern ihre Entscheidung für eine baldige Krippen-Betreuung möglichst leicht fällt, fördert der Staat diesen Schritt mit monatlich etwa 1200 Euro und lässt die ihre Kinder selbst erziehenden Eltern bisher nicht nur finanziell leer ausgehen, sondern stempelt sie auch noch als Bremser einer angeblich möglichen frühkindlichen Bildung ab.

Den Befürwortern des Ausbaus der U 3-Betreuung zufolge lehrt aber ein Blick auf Frankreich, dass beides zusammenpassen kann: eine verbreitete institutionelle Betreuung der Kinder außer Haus und Lust auf Kinder, was sich auch in einer deutlich höheren Geburtenrate als in Deutschland niederschlägt.

Wunsch Auf andere Länder mit ganz anderen gesellschaftlichen Verhältnissen und Familienbildern zu verweisen bringt oft nicht weiter. Fakt ist, dass Krippen in erster Linie der Wirtschaft, aber nicht den Kindern dienen. Auch fördern sie nicht den allseits erhofften Kindersegen. Denn in den sogenannten neuen Bundesländern existiert eine teilweise doppelt so hohe Krippen-Versorgung, während die Geburtenrate deutlich unter der in den alten Bundesländern liegt.

Was raten Sie Paaren, die sich für Kinder entschieden haben, aber noch nicht sicher sind, wie viele es am Ende werden sollen? Und denen, die mit ihrem Elternsein hadern, weil Sie um frühere "Freiheiten" trauern?

Wunsch Einmal, dass sie das Leben von Ende her denken und sich fragen, was sie zufriedener leben — und auch sterben — lässt: ein sattes Bankkonto oder eine intakte Familie mit Kindern und Enkeln, die manche Beschwerden und Einsamkeit-Erfahrungen des Alters freudvoller ertragen lässt? Ein weiterer Rat: Fragen Sie Eltern mehrerer gewollter bzw. bejahter Kinder, was mehr Sinn im Leben macht: ein weiterer Schritt in der beruflichen Karriere oder strahlende Kinderaugen? Führen beide Wege nicht zu einem überzeugten Ja zu Kindern, dann sollte man es — um der Kinder willen — lieber lassen.

THOMAS GUTMANN STELLTE DIE FRAGEN.

(RP/EW)
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