Krefeld Geheimnis des zerschossenen Buches

Krefeld · Die Bibliothek des Museums Burg Linn beherbergt unschätzbare Werte. Einige Bücher sind weltweit nur einmal nachgewiesen, andere haben spannende Geschichten. Die Buchschätze werden ab 6. Mai ausgestellt - und suchen Paten.

Der Mercator-Atlas von 1612 zeigt die damals bekannten Erdteile: Australien war noch nicht entdeckt.

Der Mercator-Atlas von 1612 zeigt die damals bekannten Erdteile: Australien war noch nicht entdeckt.

Foto: ped

Bücher können Leben verändern. Aber sie können es nicht immer retten. Das hat der Herr von Schloss Pesch im Jahr 1794 schmerzlich erfahren. Als ein Trupp Franzosen das Schloss plünderte, hielt er sich einen gebundenen Wälzer schützend vor die Brust. Vergeblich. Ein Schuss ging durch die Buchrücken und tötete ihn.

"Der Pastor von Lank hat den Toten und neben ihm das durchschossene Buch gefunden - und das Ereignis ins Buch hineingeschrieben", erzählt Christoph Dautermann. Der stellvertretende Leiter des Museums Burg Linn ist Kurator einer prächtigen Ausstellung, die am Sonntag, 6. Mai, eröffnet wird. "Buchschätze" stellt wertvolle Exponate aus der Arbeitsbibliothek des Museums vor. Ein Großteil braucht nun Retter gegen die Schäden der Zeit.

 Mäuse sind die Feinde der Bücher: Das zeigt die Ausstellung augenzwinkernd.

Mäuse sind die Feinde der Bücher: Das zeigt die Ausstellung augenzwinkernd.

Foto: Lammertz Thomas

Etwa 15.000 Bände umfasst die Museumsbibliothek, 3440 davon gehören zur Historischen Bibliothek, sie stammen aus der Zeit vor 1900. "Einige Schriften sind so selten, dass sie weltweit in keiner anderen Bibliothek nachweisbar sind. Andere werden heute nur noch in ganz wenigen in- oder ausländischen Buchsammlungen aufbewahrt", sagt der Kurator. Die ältesten Schriften sind aus dem 15. Jahrhundert.

Und vielen sieht man das an. Nicht nur Kriege haben Zerstörung angerichtet. Wasserschäden, gefräßige Insekten wie Bücherwürmer, auch Mäuse, Wasserschäden, Pilze und manchmal sogar Vorbesitzer, die aus einem Buchdeckel ein Stück herausgeschnitten haben, um es irgendwie anders zu verwenden, gehören zu den Feinden antiker Bücher. "Uns war klar, da muss schnell etwas passieren", sagt Museumsleiterin Jennifer Morscheiser. So entstand kurzerhand die Idee für die Sonderausstellung: Die Schätze müssen gezeigt werden, damit sich Paten und Sponsoren finden, die eine Restaurierung oder Konservierung unterstützen.

Die Berechnung eines Quadranten beschreibt dieses Buch für den geometrischen Unterricht.

Die Berechnung eines Quadranten beschreibt dieses Buch für den geometrischen Unterricht.

Foto: Lammertz Thomas

"Wir haben die Möglichkeit, in ein Landesförderprogramm zur Erhaltung historischer Buchbestände in NRW aufgenommen zu werden. Dafür ist allerdings ein 50-prozentiger Eigenanteil erforderlich", sagt Dautermann. Und Morscheiser ergänzt: "Um die ganze Bibliothek auf Stand zu bringen, wären 600.000 Euro notwendig. Das ist utopisch. Wir hoffen auf einen Betrag zwischen 40.000 und 100.000 Euro." Der Aufruf zur Reformationsausstellung hat gezeigt, dass es Geldgeber für Restaurierungen gibt: Zwei Lutherbibeln werden derzeit fachgerecht aufgearbeitet.

Hinter lädierten Buchdeckeln des 15. und 16. Jahrhunderts finden sich erstaunlich gut erhaltene Schriften. Denn Pergament ist relativ unempfindlich. Doch Holzschliffpapier, wie es ab 1850 verwendet wurde, ist chemischen Prozessen ausgeliefert: Es enthält Schwefelsäure. Mit der Zeit wird das Papier braun und brüchig. Auch Eisengallus-Tinte zersetzt sich mit den Jahren. "Und natürlich gibt es Abnutzung. Es ist es eine Arbeitsbibliothek. Die Bücher werden von Wissenschaftlern benutzt", erläuteret Ralf-Günter Stefan, der die Sammlung betreut.

Der Schuss ging 1794 durch die linke obere Ecke des Buchs. Die Pistole haben Museumsleiterin Jennifer Morscheiser und Sammlungsbetreuer Ralf-Günter Stefan passenderweise dazu dekoriert.

Der Schuss ging 1794 durch die linke obere Ecke des Buchs. Die Pistole haben Museumsleiterin Jennifer Morscheiser und Sammlungsbetreuer Ralf-Günter Stefan passenderweise dazu dekoriert.

Foto: Thomas Lammertz

Sehend und staunend können Besucher an den Vitrinen vorbeiflanieren. Die Farben eines handkolorierten Mercator-Atlas von 1612 leuchten voller Kraft. Das darf nicht wegen maroder Bindungen zerstört werden. "Der Wiederbeschaffungswert läge heute bei mehr als 100.000 Euro", sagt Dautermann.

Für die elfbändige Ausgabe einer Atlantenreihe von 1662 müsste man 400.000 Euro auf den Tisch legen. "Die haben zur damaligen Zeit schon umgerechnet 20.000 Euro gekostet", so der Kurator. Das konnten sich nur Fürsten leisten, die diese Buchschätze als Staatsgeschenke orderten. Vom "Atlas Maior" von Joan Blaeu sind weltweit nur 129 Exemplare verbrieft - eines in Linn.

Die Sammlung an Kartographen und Geografie-Bänden ist groß. Denn nach der Entdeckung Amerikas wuchs das Interesse an der Welt. Im 16. und 17. Jahrhundert hatten Atlanten ihre Blütezeit. Auch Reiseberichte, Almanache zur Tier- und Pflanzenwelt - oft mit hervorragenden Kupferstichen - sind Kunstwerk und zugleich Seismograph für den Zeitgeist früherer Jahrhunderte.

Andachtsbücher und Bibeln, auch Freundschaftsbüchlein, die liebevoll gestaltet und gewidmet wurden, bieten eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit. Handschriften verraten viel, auch über die Interessen der Schreiber.

In der Mitte des Ausstellungsraumes stehen drei Bücherregale. Sie sind Zeittürme, in deren Fächern Literatur steht, die jeweils typisch ist für ihr Jahrhundert - von Bibeln um 1500 bis zu Karl May, Mickey Mouse und Harry Potter.

Die Ausstellung: "Buchschätze" vom 6. Mai bis 4. November im Museum Burg Linn, Rheinbabenstraße. Eröffnung am Sonntag, 6. Mai, 11 Uhr, im oberen Rittersaal der Burg Linn. Restaurierungsprojekt: Paten können sich für ein Werk ihrer Wahl melden. Es gibt auch einen Spendentopf für kleinere Zuwendungen. Spendenkonto: Spenden gehen auf das Konto des Fördervereins: Iban: DE 08 3205000000 45005576 Bic: SPKKRDE 33XXX Stichwort "Buchschätze"

(RP)
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