Germanwings-Unglück Warum die öffentliche Trauer so wichtig ist

Köln · Im Kölner Dom wird am kommenden Freitag der Opfer des Flugzeugabsturzes gedacht. 500 Hinterbliebene werden kommen, dazu auch Merkel, Gauck und Lammert. Die Gedenkfeier kann als Ritual wertvolle Seelsorge leisten.

Bekannte Trauerfeiern im Kölner Dom
Infos

Bekannte Trauerfeiern im Kölner Dom

Infos
Foto: dpa, ve cul

"Von jetzt auf gleich aus dem Leben gestürzt. Kinder, Jugendliche, Erwachsene - Menschen. Ihre Zukunftspläne: vernichtet. Ihre Träume: zerplatzt. Wie groß muss das Leid derer sein, die auf sie gewartet haben und es nicht fassen können. Ihre Tränen: Wer kann sie trocknen?" Damit beginnt ein Gebet zum Absturz von Flug 4U9525, zu dem Präses Manfred Rekowski die rheinischen Gemeinden aufruft. Im Internet; unter www.trauernetz.de. Irgendwo müssen sie hin, die Trauer und der Trost. Und so gehört auf der Suche nach zeitgemäßen Orten und Formen seit geraumer Zeit auch das Internet dazu - der dynamische Schauplatz der öffentlichen Meinung und unser Gedächtnis.

Das Gegenteil einer virtuellen Anteilnahme wird am kommenden Freitag zelebriert: mit der ökumenischen Gedenkfeier für die Opfer des Flugabsturzes, an der im Kölner Dom unter anderem neben Kanzlerin Angela Merkel auch Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert teilnehmen werden sowie Minister aus Spanien und Frankreich. Es ist gut, dass auch sie sich auf den Weg bis nach Köln machen; viel Zeit und viele Reisestunden in Kauf nehmen. Der Polit-Betrieb hält den Atem an. Für kurze Zeit nur, aber immerhin.

Germanwings: Haltern am See nimmt Abschied
12 Bilder

Haltern am See: Gedenkgottesdienst für Absturz-Opfer

12 Bilder
Foto: dpa, mb cul

Auf der anderen Seite klingt die Präsenz der prominenten Politiker fast nach einem Akt sogenannter Staatstrauer, den es im förderalen Deutschland aber nicht gibt; allenfalls eine bundesweite Trauerbeflaggung der Bundesbehörden. Die Flaggen auf Halbmast zeigen, dass das Leben weitergeht, wenn auch in reduzierter Form.

Trauern will gelernt sein, zumal es nicht als angeborenes Verhalten gilt. So ist auch die große Emotionalität, die mit unserer Trauer heute einhergeht, eine Art rituelle Erfindung des 19. Jahrhunderts. Oft tut sie einfach gut, befreit. Und in der Psychotherapie gehört sie wesentlich zur "Geschehensabfolge" nach einem Schicksalsschlag. Von vier Etappen ist dann die Rede, von Trauer zu Trost und von der Trauerarbeit zur Trostarbeit.

 Die Sperrungen rund um den Kölner Dom am Freitag.

Die Sperrungen rund um den Kölner Dom am Freitag.

Foto: Polizei Köln

Rituale helfen, weil sie Verhaltensmuster vorgeben, auf die unsicher gewordene Menschen zurückgreifen können. Doch mit zunehmender Privatisierung unseres Lebens werden auf Öffentlichkeit zielende Rituale als banal empfunden, als lauter leeren Gesten.

Dabei scheint es doch gerade für die Trauer über gestorbene Menschen kaum einen besseren Ort zu geben als den öffentlichen, sakralen Raum. Denn die Unbegreiflichkeit des Todes zielt auf die Unbegreiflichkeit des Lebens. Sollte es einen Grund für unser Leben und unser Sterben geben, so muss er außerhalb unseres Verstandes liegen. Die Gesellschaft, die alles erklären kann, muss plötzlich schweigen. Dieses Schweigen hat das Sprechen überwunden. "In der Sprachlosigkeit vermittelt sich religiöse Erfahrung", so der Literaturwissenschaftler Wilhelm Gössmann. Dann kann Trauer zu einer Sprache derer werden, denen Worte fehlen müssen für Lösungen, die es nicht gibt.

Germanwings-Absturz – Gedenkgottesdienst in Digne-les-Bains
7 Bilder

Germanwings-Absturz – Gedenkgottesdienst in Digne-les-Bains

7 Bilder
Foto: dpa, mpc

Kirchen sind Räume, in denen auf unsere anhaltende Antwortlosigkeit gemeinsam geschwiegen, geweint und geklagt werden kann. "Sie sind nicht allein", sagte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft öffentlich den Hinterbliebenen der Loveparade-Opfer; "You'll never walk alone", zitierte Margot Käßmann als damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland ein Fanlied bei der Trauerfeier von Torwart Robert Enke.

Trauern im sakralen Raum ist Seelsorge im eigentlichen Sinne. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes auch darum, das Zeitliche zu segnen. Und dafür kann es immer noch für viele Menschen Worte geben. Das können die des Gebetes sein. Präses Rekowski hat solche ins Internet gestellt, im Dom, vor über 500 Hinterbliebenen, werden Rainer Maria Kardinal Woelki und Präses Annette Kurschuss eigene Worte finden.

Wobei neben dem Ort und neben der trauernden Öffentlichkeit auch die Form des Betens Trauer erfahrbar macht: Indem wir unsere Hände falten, nehmen wir eine Haltung der Ruhe ein und der innerlichen Sammlung. Diese Hände sind in diesem Moment zu nichts anderem mehr nütze als zum Gottesdialog. Der evangelische Theologe Johann Hinrich Claussen hat in diesem Sinn Gebetsketten einmal "Geländer für die Seele" genannt.

Mit der öffentlichen Trauerfeier am kommenden Freitag in Köln wird nichts zu den Akten gelegt. Das Leben geht weiter, aber das öffentliche Gedenken trägt vielleicht dazu bei, dass es ein getröstetes Leben sein kann.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort