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Kleve Immer mehr Bier in Tüten

Kleve · Die Sonne versinkt hinter dem Kiosk. Es wird unruhig vor dem kleinen Fenster, aus dem der 39-jährige Fethi Kozik guckt. Er hat sich neben massig aufgebauten Töpfen mit Süßigkeiten, Zeitungen und Regalen mit Flaschen eine kleine Öffnung gelassen.

 Das Johanna-Sebus-Kiosk am Mittelweg: Hier hat sich seit Jahrzehnten kaum etwas verändert. Allein der Bierumsatz steigt stetig.

Das Johanna-Sebus-Kiosk am Mittelweg: Hier hat sich seit Jahrzehnten kaum etwas verändert. Allein der Bierumsatz steigt stetig.

Foto: Gottfried Evers

Fethi führt seit zehn Jahren den Johanna-Sebus-Kiosk am Mittelweg in Kleve. Die Öffnungszeiten lassen für die Kunden kaum Wünsche offen: Jeden Tag von 7 bis 22 Uhr stehen Fethi oder seine Frau in der Bude. Sonntags gönnt sich Fethi den Luxus, zwei Stunden später die Luke hochzuklappen.

"Ich war hier früher schon selbst Kunde", erzählt der 39-jährige Chef. Der Kiosk sei schon 45 Jahre alt, so Fethi, der erklärt: "Hier hat sich seitdem nichts verändert." Was sich verändert hat, ist das Einkaufsverhalten seiner Kunden. Vor allem Gerstensaft würde mittlerweile immer mehr nachgefragt, weiß der Kioskbesitzer. "Bier wurde hier zwar immer schon gekauft, aber nicht so viel. Ich habe gut zu tun. Meine Bilanzen stimmen", sagt Fethi. Einer, der mit dazu beiträgt, dass die Bilanz stimmt, ist Stammkunde Norbert. Er lässt sich fünf Flaschen Pils in eine dunkle Plastiktüte packen und erklärt: "Ich hab' grad Besuch bekommen."

Die Flasche Oettinger verkauft Fethi für 80 Cent. "In der Kneipe kriegst du nicht mal ein 0,2-Liter Glas Bier dafür, deshalb gehen die Kneipen auch kaputt", sagt der 39-Jährige aus seinem Guckloch.

Nur einige hundert Meter Luftlinie vom Kiosk entfernt, hat sich eine Halle entwickelt, die stellvertretend für eine sich verändernde "Trinkkultur" steht. Dort treffen sich mittlerweile Leute, die vor einiger Zeiten auch noch in die traditionelle Wirtschaft gingen. Vor einer großen Schaufensterscheibe sitzt man auf Gartenstühlen aus Plastik und versenkt halbe Liter. Hier wird der Wunsch nach Kontakt und Abwechslung auf preiswertem Niveau erfüllt. Ambiente spielt eine untergeordnete Rolle. Eigentlich gar keine. Wer von hier den Weg nach Hause antritt, geht häufig nicht allein. Bier in der Tüte ist kein seltener Begleiter.

Ralph van Hoof, Leiter des Klever Ordnungsamts, bestätigt den Trend zu derartigen Trinkstätten: "Diese Gastronomieart hat zugenommen." Van Hoof muss es wissen. Denn auch diese Art von Gaststätten benötigen eine Konzession, die bei der Behörde beantragt werden muss. 157 Betriebe gibt es derzeit im Stadtgebiet, die in Besitz einer gültigen "Erlaubnis zum Betrieb einer Schankwirtschaft" sind.

Den Abschied von traditionellen Kneipen hin zu Trinkhallen oder ähnlichen Versorgungsstellen sieht auch Thomas Kolaric vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Nordrhein. "Dass die Kneipen auf den Dörfern schließen, ist kein neues Phänomen. Denn die Zeiten mit 'Türe aufschließen, Licht anknipsen und die Theke steht voll' gibt's eben nicht mehr", sagt Kolaric. Doch ist nicht mehr alleine die Zahl der ländlichen Gaststätten rückläufig. "Durch immer mehr Auflagen wird es für Gäste zunehmend unattraktiver, in eine Gaststätte zu gehen", sagt Kolaric. Auch das Nichtraucherschutzgesetz führt er als einen Grund für den rückläufigen Umsatz an. Für Kolaric ist eindeutig: "Es hat sich ein Nischenangebot entwickelt, das auf günstiges Bier setzt. Diese Gäste gehen nicht mehr in eine traditionelle Wirtschaft." Und der Mann von der Dehoga erklärt, warum es dieses Phänomen gibt: "Man kann Bier in einer gut geführten Kneipe nicht zum Einzelhandelspreis wie etwa in Trinkhallen anbieten. Renovierungsarbeiten, Ambiente, Nebenkosten - alles das muss der Wirt tragen." Das Geschäftsmodell der aufkommenden Verkaufsstellen laute alleine, so der Gaststätten-Kenner, billiges Bier.

In diese Kategorie fällt auch ein Büdchen in Kleve, das als "City-Treff" bekannt wurde und heute "Fatmas Büdchen" heißt. Ab 8 Uhr ist hier geöffnet.

An einem Donnerstagvormittag sitzen zwei Männer mit einem Kaffee am Tisch, die anderen Gäste halten sich damit erst gar nicht auf. Ermuntert durch obergärige Getränke, geht man hier robust miteinander um. Ohne günstiges Bier könnte die Besitzerin den Laden sofort dichtmachen. Sie macht den überwiegenden Teil ihres Umsatzes mit 0,5-Liter-Flaschen, die hier auch gern "Maurerpatronen" genannt werden. Peter (64) ist einer ihrer besseren Kunden. Um 10 Uhr genehmigt er sich das erste Oettinger. Sein Kumpel bestellt ein Krombacher. "Mensch, was trinkst du denn für teuer Bier", ruft Peter seinem Freund hinterher. Peter, der ab September Rente bekommt, erklärt: "Oettinger kostet nur 1,10 Euro. Da spare ich 30 Cent pro Flasche." Der 64-Jährige geht gerne in den Treff: "Ist doch besser als zu Hause herumzusitzen." Zum Vergleich in einer solide geführten Wirtschaft zahlt man für ein 0,2-Liter-Glas Bier 1,40 Euro.

Dass es auch Gastwirtschaften gibt, die sich finanziell in einer auskömmlichen Situation befinden, bestreitet Dehoga-Geschäftsführer Thomas Kolaric nicht. Seine Erklärung dafür: "An der letzten Wasserstelle treffen sich alle." Oder eben im City-Treff.

(RP)
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