Haan "Wir fordern nicht, wir tun selbst etwas"

Haan · Reiner Nieswandt, katholischer Pfarrer in Haan, sieht Kirche nach wie vor als geistlichen Mittelpunkt der Stadt.

 Im Redaktionsgespräch betont Pfarrer Reiner Nieswandt das Soziale in Haan: Das Thema Flüchtlinge etwa zwinge zu einer persönlichen Haltung.

Im Redaktionsgespräch betont Pfarrer Reiner Nieswandt das Soziale in Haan: Das Thema Flüchtlinge etwa zwinge zu einer persönlichen Haltung.

Foto: Tinter, Anja

Reiner Nieswandt freut sich auf seine neuen Nachbarn. In das Haus, in dem auch er lebt, wird schon bald eine syrische Flüchtlingsfamilie einziehen. Die Entscheidung, ihnen eine Zuflucht zu geben und sie zu unterstützen, haben die Mitglieder der katholischen Kirchengemeinde St. Chrysanthus und Daria in Haan gemeinsam getroffen. Viele Gemeindemitglieder haben Möbel gespendet. Und um auch die übrigen in Haan lebenden Flüchtlinge zu unterstützen, wurden zum Erntedankfest gut verpackte Lebensmittel wie Mehl, Nudeln, Zucker gesammelt. Über diese Resonanz ist der Geistliche hoch erfreut: "Die Thematik ist da, und sie wird beachtet", sagt er.

Ist die Flüchtlingsproblematik vielleicht auch eine Chance, in Zeiten schwindender Mitgliederzahlen eine Kernkompetenz von Kirche herauszuheben? Nieswandt überlegt. Nein, diesen Faden will er ganz offensichtlich nicht aufnehmen. "Kirche wird als kultureller, sozialer und spiritueller Faktor in dieser Stadt wahrgenommen", sagt er. Das ist weit entfernt von einer vielleicht zu befürchtenden Bedeutungslosigkeit. Und das Thema Flüchtlinge sei zu ernst, um instrumentalisiert zu werden. "Dieses Problem ist ein Thema, das provoziert, auch zu einer persönlichen Stellungnahme", sagt Nieswandt. Und genau das will er: eine klare Haltung. Solidarität. Soziales Denken. Nächstenliebe. Tiefe im Glauben. Die "Reduktion kirchlichen Lebens auf feierliche Gottesdienste" liegt ihm nicht. Glaube muss gelebt werden. Auch und gerade im Alltag.

9300 Katholiken zählt die Stadt Haan bei rund 30 000 Einwohnern, die Tendenz ist sinkend. Bis Ende 2013 gab es 85 Austritte, berichtet der Geistliche. Er führt diese hohe Zahl auf den "Tebartz van Elst-Effekt" zurück. Der Finanzskandal um den Limburger Bischof habe viele Gläubige der Kirche den Rücken zuwenden lassen. Umso dankbarer ist er, dass sich mit dem neuen, bescheiden auftretenden Papst Franziskus "viel geändert" hat.

Entsprechende Erwartungen setzt er in die Bischofssynode, die womöglich einen anderen Weg aufzuzeigen vermag, als die bislang als "starres Korsett" wahrgenommene Haltung der Kirche: "Die Bischofssynode in Rom hat gezeigt, dass es nunmehr keine Alternative zu einer barmherzigen Haltung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen, Homosexuellen und anderen Menschen gibt, die bislang von einer vollständigen Teilhabe am kirchlichen Leben ausgeschlossen wurden", sagt Nieswandt. "Barmherzigkeit bedeutet nicht eine herablassende Haltung anderen gegenüber, sondern eine Haltung der Solidarität, die um die eigene Erbarmungswürdigkeit weiß und diese vor Gott bewusst lebt, in einer Haltung der Inklusion und nicht der Exklusion", betont er.

Um diese Haltung in die Tat umzusetzen, will Nieswandt Impulse geben. "Wir fordern nicht von anderen, wir tun selber", so laute das Motto von Kirche und Gemeinde. Daher hat Nieswandt gemeinsam mit dem FDP-Ratsherre Dirk Raabe eine Bürgerdiskussion angestoßen. Thema: "Was brauchen wir in Haan, um eine soziale Stadt zu sein?". Fast 40 Haaner, Mitglieder von Vereinen und Verbänden, mildtätigen Organisationen und Kirchen, wirkten daran mit. Im Nachgang ihrer Diskussion haben die Teilnehmer vier Arbeitskreise gebildet, die sich bis zum Herbst kommenden Jahres den Themen Senioren, junge Menschen, Flüchtlinge und Bedürftige widmen und Wege aufzeigen sollen, die Stadt Haan noch ein wenig lebenswerter zu machen - auch für diejenigen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen. "Die Haaner leben nicht auf der Insel der Glückseligen", mahnt Nieswandt. Dirk Raabe hat die Zusammenarbeit mit dem Geistlichen genossen. "Es gibt viele Probleme in der Stadt. Versteckte Armut, Flüchtlinge", sagt Raabe. Für sein Projekt "Soziale Stadt Haan" "habe ich mir den richtigen Partner ausgesucht", berichtet Raabe erfreut. Denn Nieswandt sei für die Idee gleich zu begeistern gewesen. Für Raabe war es die erste Begegnung mit Nieswandt: "Er war überraschend offen und ist unheimlich sozial eingestellt."

Auch der evangelische Amtskollege, Pfarrer Frank Weber, schätzt den Kontakt mit Reiner Nieswandt: "Wir kooperieren häufig und gerne miteinander", zuletzt mit einem gemeinsamen Gottesdienst zum Start der Haaner Kirmes. "Ich bin froh über die gute Nachbarschaft", sagt Weber lachend und meint das auch im wahren Wortsinne. Denn Nieswandt und Weber leben nur einen Katzensprung voneinander entfernt. "Ich wohne näher an ihm als an meiner evangelischen Kirche", sagt Weber. Und als Nachbarn haben sie "ein hervorragendes Verhältnis".

(RP)
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