Goch/Alpen Der vergessene Retter von der A57

Goch/Alpen · Jörg Rickers (56) ist enttäuscht, dass sein Einsatz bei dem Lamborghini-Unfall Anfang April nicht gewürdigt worden ist.

 Der Lamborghini durchbrach Anfang April die Leitplanken auf der A 57 in Höhe des Parkplatzes Die Leucht. Der Wagen ging in Flammen auf. Übrig blieb nur ein ausgebranntes Gerippe aus Stahl (oben re). Jörg Rickers (unten) ist es mit seinen Helfern gelungen, den Fahrer vorm Flammentod zu retten. Dass er bei der Ehrung vergessen worden ist, enttäuscht ihn.

Der Lamborghini durchbrach Anfang April die Leitplanken auf der A 57 in Höhe des Parkplatzes Die Leucht. Der Wagen ging in Flammen auf. Übrig blieb nur ein ausgebranntes Gerippe aus Stahl (oben re). Jörg Rickers (unten) ist es mit seinen Helfern gelungen, den Fahrer vorm Flammentod zu retten. Dass er bei der Ehrung vergessen worden ist, enttäuscht ihn.

Foto: Privat/Archiv

Die dramatischen Bilder sind ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Immer wieder hat Jörg Rickers die Minuten innerlich vor Augen gehabt, die zu den aufregendsten in seinem Leben gehören und ihn lange nicht mehr losgelassen haben. Auch wenn er immer wieder davon erzählt hat. Seiner Frau, seiner Tochter, den Arbeitskollegen bei der Müllabfuhr, Bekannten und Nachbarn. Immer wieder. Erst nach Wochen ist er wieder zur Ruhe gekommen. Bis zu dem Tag, als er in der Zeitung wieder über das Geschehen gelesen hat, weil zwei Soldaten als Lebensretter ausgezeichnet worden sind. Von ihm war dabei nicht die Rede. Dabei hat er bei der Rettungsaktion eine Hauptrolle gespielt.

"Der Bericht über die Ehrung kam total überraschend und war eine riesengroße Enttäuschung", sagte der 56-jährige Mann aus Goch, der seit 27 Jahren ein Müllfahrzeug steuert. "Ohne mich wäre der Mann tot gewesen." Da klingt die Verzweiflung mit, die er seinerzeit erlebt haben muss. Plötzlich waren die Geschehnisse wieder in seinem Kopf. Es war an einem Sonntagmorgen Anfang April auf der Autobahn 57 in Höhe des Parkplatzes Leucht. Ein weißer Lamborghini hatte offenbar mit rasantem Tempo abgehoben und wie eine Rakete die Mittelleitplanke durchbrochen. Das brennende Wrack landete auf der Gegenspur. Der Fahrer, ein 34-jähriger Mann aus Rees, überlebte nur, weil es Jörg Rickers und seinen Helfern im letzten Moment gelungen ist, den lebensgefährlich verletzen Mann aus dem Inferno zu befreien.

Die Soldaten Martel Sullyvan (USA) und Charles Libro (Belgien) passierten auf dem Weg zu einem Lehrgang an der Nato-Schule im bayerischen Oberammergau die Unfallstelle und waren an der Rettungsaktion beteiligt. Wegen ihres selbstlosen, vorbildlichen Einsatzes wurden die Soldaten am Uedemer Nato-Stützpunkt von der Autobahn-Polizei geehrt. Im Beisein des Kommandeurs der Nato-Luftverteidigung Nordeuropa, Thierry Dupont, erhielten die Soldaten eine Medaille (RP berichtete).

Goch/Alpen: Der vergessene Retter von der A57
Foto: Christoph Reichwein

Jörg Rickers gönnt es ihnen. Aber, dass man ihn dabei komplett vergisst, trifft ihn sehr. Dabei hat zuletzt an sich gedacht, als er damals beherzt einschritt, nachdem sämtliche Rettungsversuche aller anderen erfolglos geblieben waren und alles zu spät schien. "Ich stand vor dem Wrack und sah dem Mann auf dem Fahrersitz direkt ins Gesicht, während die Kopfstütze schon Feuer gefangen hatte", erinnert sich Rickers. "Ich hab' nur gedacht: Jetzt verbrennt er vor meinen Augen."

Die ausweglos scheinende Lage ließ in nicht verzweifelt erstarren. Er handelte. Trotz unerträglicher Hitze, die die anderen hatte aufgeben lassen, packte er den gewichtigen Mann im Ferrari, drehte dessen Oberkörper zur Seite und zog. Mit den beiden Soldaten hinter ihm, so Rickers, bildeten die Retter, die sich um die Hüfte fassten, eine Kette. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, den lebensgefährlich verletzen Piloten hinterm Steuer herzuziehen. In allerletzter Sekunde. "Alleine hätte ich das nicht geschafft." Dann brannte das Wrack lichterloh.

Die Abläufe hat der Gocher aufgeschrieben und der Autobahnpolizei sein handschriftliches Gedächtnisprotokoll über die dramatischen Minuten zugeschickt. Um so unverständlicher war's ihm, dass sein Einsatz bei den Ehrungsfeierlichkeiten auf dem Nato-Stützpunkt nicht mal erwähnt worden sei. "Auch meine Kollegen bei der Müllabfuhr fanden das total ungerecht", sagte Rickers.

Ein Polizeisprecher erläuterte auf Nachfrage, dass es sich bei der Auszeichnung der Retter um eine Initiative des Nato-Stützpunktes in Uedem gehandelt habe, zu der der Kommandeur eben auch die Polizei eingeladen habe, um die beispielhafte Tat der Soldaten zu würdigen. Der Sprecher bestätigte, dass der Brief des Retters aus Goch der Polizei vorliege und es nicht ausgeschlossen sei, dass er bei nächster Gelegenheit die verdiente Würdigung seines mutigen Handels erfahre. Inzwischen hat es ein erstes Telefongespräch zwischen der Polizei und dem 56-Jährigen gegeben, um die Irritationen auszuräumen.

Noch bedeutsamer: Das Unfallopfer ist aus dem Krankenhaus entlassen, hat seinen Lebensretter inzwischen Zuhause besucht und sich mit einem Blumenstrauß bedankt. "Alex ist wieder ganz gut drauf und froh, dass er lebt. Er glaubt mir", sagt Jörg Rickers. "Auch er kann so einiges auch nicht verstehen, was öffentlich dargestellt worden ist." Rickers ist froh, dass es dem verunglückten Sportwagenfahrer, auch wenn die Brandverletzungen Narben hinterlassen haben, den Umständen entsprechend gut geht. Daran hat er nicht unerheblichen Anteil. Dieser Gedanke mache es ihm leichter, mit der Erinnerung und auch mit seiner Enttäuschung fertig zu werden.

(bp)
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