Haushalt, Mafia, Loveparade Duisburg - eine Stadt im Unglück

Haushalt, Mafia, Loveparade · Nicht erst seit der tödlichen Katastrophe bei der Loveparade kämpfen die Duisburger mit herben Rückschlägen: dem Sterben der Montanindustrie, dem maroden Haushalt oder den Mafia-Morden. Dabei wirkte es in den vergangenen Jahren so, als könnte die Stadt den Imagewechsel schaffen.

Adolf Sauerland: Schwere Zeiten für Duisburgs OB
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Adolf Sauerland: Schwere Zeiten für Duisburgs OB

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Tief hingen gestern die Regenwolken über Duisburg und unterstrichen jenes kollektive Gefühl von Trauer und Schwermut, das so typisch für diese Stadt ist — auch vor dem verhängnisvollen Loveparade-Samstag.

Die fast 500.000 Einwohner leiden mit den Angehörigen der bei der Loveparade Getöteten und mit den Verletzten. Sie stürmen den Unglücksort, um Blumen und Kerzen niederzulegen und deutlich zu machen, dass sie den Tränen nahe sind. Sie schämen sich dafür, dass so ein furchtbares Unglück in ihrer Stadt passiert ist. Und kaum einer käme auf die Idee zu sagen, dass sich diese Katastrophe auch anderswo hätte ereignen können.

Den Duisburgern erscheint es fast logisch, dass es hier passieren musste. Weil eben anscheinend alles Schlimme hier passiert. Mit der Muttermilch haben sie die Haltung aufgesogen, sich immer ein bisschen bescheidener, kleiner und schlechter zu machen als beispielsweise die Nachbarn in Düsseldorf. Selbstbewusst als Duisburger durch die Welt gehen, warum sollte man?

Stolz auf Schimanski ist man auch nicht

Worauf lässt sich hier stolz sein? Auf die Tatsache, dass der Weltkonzern Thyssen im Norden der Stadt seinen Stahl kocht, aber seine feine Verwaltung von Düsseldorf nach Essen verlegt hat? Auf den MSV Duisburg, der zwar zu den Bundesliga-Mitbegründern gehört, aber es partout nicht schafft, erstklassigen Fußball zu spielen? Auf den größten Binnenhafen Europas, der den Makel hat, eben im Binnenland zu liegen und darum höchstens mal eine leichte Brise von dem Wind abbekommt, der die Tore zur Welt in Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg umweht?

Ach ja, und stolz auf Schimanski ist man auch nicht. Der Schmuddelkommissar mit der schmierigen grauen Jacke, der fluchte und soff, und das immer genau dort, wo die Stadt besonders häßlich und schmierig und heruntergekommen war. Den Tatort-Kommissar hätten die Duisburger in den 80er Jahren am liebsten aus der Stadt gejagt, weil er den Eindruck erweckt, dass Duisburg so ziemlich das Allerletzte ist.

Wie viele (Rück-)Schläge hat die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten einstecken und verkraften müssen, die dieses Minderwertigkeitsgefühl bedient und ganz tief verankert haben? Die Stahlkrisen der 80er und 90er Jahre beispielsweise. Der Kampf der Krupp-Belegschaft um die Arbeitsplätze und das Aus für das Werk im Duisburger Stadtteil Rheinhausen signalisierten weltweit, dass hier scheinbar gerade die Lichter ausgehen. Der Niedergang der Montanindustrie führte zu Rekordarbeitslosenzahlen, Firmenpleiten und zum sozialen Elend jener, die ihre Jobs verloren, keine neuen fanden und auf die Dauerliste der Bezieher von Transfereinkommen kamen — also von Sozialhilfe und später Hartz IV.

Notorisch pleite seit den späten 60er Jahren

Die Krisen haben aber auch die Wirtschaft der gesamten Stadt krank gemacht. Wer kein Geld hat, der kauft keine Kleidung, kein Häuschen, kein neues Auto. Wer kein Geld hat, bezahlt auch keine (Gewerbe-)Steuern, mit denen kommunale Infrastruktur finanziert wird. Notorisch pleite ist Duisburg schon seit den späten 60er Jahren, absolut handlungsunfähig seit dem vergangenen Jahr, als der Regierungspräsident Duisburg an die Kette gelegt hat: Keine freiwillige Ausgabe ohne seine Genehmigung, lautet seitdem der Anweisung.

"Als hätten wir es nicht schon schwer genug, und jetzt auch noch so was", stöhnen die Duisburger seit Samstag. "So was" — das meint aktuell die Katastrophe auf dem Loveparade-Gelände, die 20 Menschen das Leben kostete und die die Duisburger unendlich traurig macht. "So was" — das waren aber vor drei Jahren auch die Mafia-Morde vor einer Pizzeria in der Nähe des Hautpbahnhofes und alle anderen Ereignisse, mit denen die Stadt weltweit Schlagzeilen machte.

Und ganz unverhohlen schielen in solchen Augenblicken die Duisburger in Richtung Süden, zur Landeshauptstadt Düsseldorf, der es wirtschaftlich und finanziell so sehr viel besser geht und von der noch nicht einmal ein Quentchen Glanz auf den kleineren Nachbarn fällt. Dass es "die" mal genauso trifft wie Duisburg, das halten hier alle für ausgeschlossen.

Ein feines Einkaufszentrum

Dabei schien zwischenzeitlich fast so etwas wie ein Zeitenwechsel begonnen zu haben. Als die Duisburger 2004 der SPD die rote Karte zeigten, die gut vier Jahrzehnte für das Wohl und Wehe der Stadt verantwortlich gezeichnet hatte, da schien mit Oberbürgermeister Adolf Sauerland von der CDU endlich mal einer an der Spitze zu stehen, der voller Optimismus ans Werk ging und seine Stadt nach vorne bringen wollte. Duisburg bekam eine neue Veranstaltungshalle und ein großes, feines Einkaufszentrum mitten in der Innenstadt, konnte die Verwaltung des Turbinenbauers Hitachi an den Innenhafen locken und machte sogar mit dem Neubau von Deutschlands größter Moschee positive Schlagzeilen.

Alles, was Adolf Sauerland anpackte, schien in seinen Händen zu Gold zu werden. Er ließ für die Innenstadt von dem renommierten Architekturbüro Foster einen Masterplan entwickeln, dessen Umsetzung die Stadt in den kommenden 15 Jahren mindestens so schön werden lassen soll, wie es der Innenhafen bereits ist, der gleichfalls nach Plänen von Lord Norman Foster von einem heruntergekommenen Industriegebiet am Wasser zur Ausgehmeile der Stadt wurde.

Stinksauer auf Sauerland

Für das Güterbahnhofsgelände, an dessen Zugang am Samstag die Katastrophe passierte, wird zurzeit an einer neuen Nutzung gearbeitet. Der Berliner Möbelkonzern Höffner will dort ein Einrichtungshaus von einer Größe bauen, wie sie das Ruhrgebiet und das Umland noch nicht gesehen haben. Eingebettet sein soll es in eine Parkanlage, die unterstreicht, dass das Revier an seinem westlichen Ende nicht grau und zugepflastert ist, sondern grün und attraktiv.

Die Zeitenwende deutete sich allerdings nur kurz an. Seit Samstag sind die Duisburger auf ihren Oberbürgermeister stinksauer, ja sogar so wütend, dass Sauerland nur noch mit Bodyguards vor die Türe gehen kann. Ihn haben sie als Schuldigen für diese Katastrophe ausgemacht. Er hätte diese Party gar nicht erst in die Stadt holen dürfen. Er solle die alleinige Verantwortung übernehmen und sofort zurücktreten.

(RP)
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