Zahl rückläufig Mehr Druck auf Taschendiebe

Düsseldorf · Erstmals seit Jahren ist die Zahl der Taschendiebstähle in der City zurückgegangen. Viele der meist minderjährigen Täter, die zum Stehlen nach Düsseldorf geschickt werden, geraten schon am Hauptbahnhof ins Visier der Polizei.

 Weniger Taschendiebstähle in der City.

Weniger Taschendiebstähle in der City.

Foto: Thomas Busskamp

Das Kind und die etwa 40-jährige Frau waren Heike Schäfer* schon auf dem Bahnsteig in Köln aufgefallen. Die Frau, weil sie einer Bekannten ähnlich sah, das Kind, "weil es so furchtbar schlechte Zähne hatte". Als die Bahn nach Düsseldorf einfuhr, hatte die 49-Jährige den kurzen Blickkontakt schon vergessen, dachte eher daran, ob sie in dem vollbesetzten Zug wohl noch einen Sitzplatz bekommen würde.

Gleich nach dem Einsteigen bemerkte sie, dass ihre Tasche offen und auch der Reißverschluss vom Innenfach aufgezogen war. "Es war leer — mein Geldbeutel war weg." In derselben Sekunde sah Heike Schäfer die kleine Hand, die sich erneut in ihre Tasche schob. Und sie, die sich eher als "zurückhaltend und still" einschätzt, reagierte ganz automatisch.

"Ich packte die Hand, hielt sie fest, drückte das Mädchen auf einen Sitz und durchsuchte es." Ihr Geldbeutel steckte unter dem T-Shirt des Mädchens, das abwehrend "Madame, Madame" sagte und, mit französischem Akzent: "Ich habe nichts getan." Als sie mit Hilfe des Zugführers Frau und Kind in Düsseldorf der Bundespolizei übergab, erfuhr Heike Schäfer, dass die kleine Diebin erst zwölf und schon polizeibekannt ist.

Nicht ungewöhnlich für Stefan Beckmann, Sprecher der Bundespolizei: "Bestimmte Gruppen bilden gezielt strafunmündige Kinder zum Stehlen aus." Die 40-Jährige, die das Kind begleitet hatte, dürfte eine solche Ausbilderin gewesen sein, wie Beckmanns Kollegen sie fast täglich in den Zügen und im Bahnhof antreffen. Waren es noch vor einigen Jahren fast ausschließlich Roma, überwiegend aus einem Lager in Köln, so stammen die kleinen Täter heute vor allem aus Bosnien und Albanien. "Die reisen nur zum Stehlen ein", sagt Stefan Beckmann.

Das weiß auch Frank Schier, Jugendsachbearbeiter bei der Düsseldorfer Polizei. Ganze Familien, die zum Stehlen einreisen und gezielt die Großstädte abgrasen, sind dort schon bekannt geworden. "Sie haben oft auch Kinder von Bekannten oder Verwandten dabei." Weil die Kinder nicht strafmündig sind, bleibt der Polizei nichts anderes übrig, als sie den Eltern zu übergeben oder in eine der Jugendschutzstellen in der Stadt zu bringen.

"Aber von dort laufen sie meist sofort weg — und geschlossene Heime gibt es bei uns nicht", erklärt Schier die Hilflosigkeit der Polizei. Den Eltern hat sie in den vergangenen Jahren das Geschäft in Düsseldorf gründlich verdorben. Mit erhöhter Präsenz bei Großveranstaltungen, mit immer deutlicheren Warnungen an die Besucher und ein paar polizeilichen Tricks, die nicht verraten werden sollen, sind die Zahlen drastisch gesenkt worden. 67 Taschendiebstähle durch Kinder und Jugendliche wurden 2007 gezählt — früher gab's so viele in einer einzigen Woche beim Weihnachtsmarkt.

Der hohe Fahndungsdruck habe die jungen Diebe vertrieben, meint Schier. Und nicht nur der: Viele der Diebe kommen erst gar nicht in die Stadt, weil sie im Hauptbahnhof von Bundespolizisten aufgegriffen werden. Stefan Beckmann, dessen Dienststelle für Hauptbahnhof und S-Bahnhöfe zuständig ist, kann denn auch einen Rückgang nicht bestätigen. "Sie kommen immer wieder, und für die, die wegbleiben, kommen neue", sagt er. Jeden Tag sichten seine Kollegen im Hauptbahnhof bekannte Gesichter. "Die Kinder werden beobachtet, überprüft und meistens nach ihrer Vernehmung den Eltern zurückgegeben, weil es das Gesetz so vorsieht."

Die Zwölfjährige, die Heike Schäfer bestohlen hat, wurde nicht zu ihren Erziehungsberechtigten gebracht. Sie war — wie ihre Begleiterin übrigens auch — einschlägig bekannt und von den Behörden bereits zur Ingewahrsamnahme ausgeschrieben. Dass das Mädchen in behördlicher Obhut auf den rechten Weg zurückfindet, hält Polizei-Sachbearbeiter Frank Schier kaum für möglich. "Die Kinder wollen immer unbedingt zu ihren Eltern zurück — sie kennen und akzeptieren nichts anderes."

Heike Schäfer, die sich nach dem Diebstahl erstmals intensiver mit dem Phänomen der diebischen Kinder befasst hat, versteht die Behörden nicht. "Warum lässt man die Kinder bei ihren Eltern, die sie zu Kriminellen machen? Es wäre doch auch für sie besser, wenn solchen Eltern das Sorgerecht entzogen würde."

Bis das Jugendamt sich zu einer solch drastischen Maßnahme durchringt, sind die Kinder meist längst weg, weiß Frank Schier, der die Zusammenarbeit der Polizei mit dem Düsseldorfer Jugendamt sehr lobt. Das aber ist für die reisenden Taschendiebe meist gar nicht zuständig.

* Name geändert

(RP)
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