Düsseldorf Komparse an der Seite von Anna Loos

Düsseldorf · Ulrich Groß hat als Statist die Dreharbeiten zum TV-Nazidrama "Nacht über Berlin" miterlebt.

Der Zug, in den die Schauspielerin Anna Loos einsteigt, rattert im Film durch das Berlin der 1930er Jahre. Gedreht aber wurde die Szene nachträglich auf einem Gleis in Krefeld. Auch der Komparse Ulrich Groß musste sich mit seinem Koffer in den historischen Waggon quetschen.

Deshalb wird der Düsseldorfer heute mit freudiger Anspannung vor dem Fernsehapparat sitzen und zur besten Sendezeit "Nacht über Berlin" ansehen. Die Hauptrollen in der Geschichte einer tragischen Liebe im Schatten der Nazi-Machtergreifung spielen das Künstler-Paar Anna Loos und Jan-Josef Liefers. Mit Franz Dinda, Claudia Eisinger (früher im Schauspielhaus-Ensemble) und Jürgen Tarrach wirken weitere renommierte Darsteller mit.

Auch wenn er mit den Stars kaum in Berührung kam, waren die Dreharbeiten für Ulrich Groß ungeheuer spannend. Der pensionierte Lehrer, der in einer Duisburger Schule für geistig behinderte Kinder unterrichtet hatte, vertieft sich gerade in die große Leidenschaft seines Lebens — die Schauspielerei. Über eine Casting-Agentur geriet er an die Komparsenrolle in "Nacht über Berlin". An vier Tagen wurde Ulrich Groß bei den Dreharbeiten eingesetzt.

Ein Geduldsspiel. Allein für die Szene in Krefeld war er von fünf Uhr früh bis nach Mitternacht unterwegs. "Es dauert eben lange, bis eine ganze Gruppe eingekleidet und geschminkt ist, bis der Komparsen-Regisseur die Positionen bestimmt hat und sich alles ineinander fügt", erzählt er. "Da wird nichts dem Zufall überlassen." Das Warten machte ihm nichts aus. "Man kann alles beobachten und sich dabei nett unterhalten."

Wesentlich umfangreicher gestalteten sich die Filmaufnahmen in einem Kölner Studio, wo der Reichstag nachgebaut war. Auch hier kam Ulrich Groß ins Bild. Die Aufnahme-Tricks belegen den Fortschritt der modernen Technik: Jan-Josef Liefers hält als jüdischer Arzt und streitbarer SPD-Politiker eine Rede im Reichstag. Kein Zuschauer ahnt, dass die anderen Abgeordneten erst später ins Bild montiert und zahlenmäßig ums Dreifache aufgeplustert wurden. "Wir waren 60 Komparsen", berichtet Groß. "Jeder von uns musste sich mehrfach umziehen und hatte drei Rollen zu erfüllen — als Angehörige der NSDAP, der SPD und der Konservativen. Wir wechselten jedes Mal die Plätze. Die Szenen wurden aneinandergeschnitten. So sieht es aus, als ob der Saal mit 180 Personen voll besetzt wäre."

Natürlich stehen Aufwand und die karge Entlohnung der Komparsen in keinem vernünftigen Verhältnis. "Wer sich aber dafür begeistert und nicht davon leben muss, hat seinen Spaß", sagt der Düsseldorfer. Nicht mehr jung zu sein, sei eher ein Vorteil. "Studentinnen gibt es viele bei den Agenturen. In meinem Alter hat man bessere Chancen, für Filmaufnahmen ausgewählt zu werden." Schon als Kind faszinierte ihn die Welt der Bühne. "Ich war nicht sportlich. Wenn es aber darum ging, ein Gedicht aufzusagen oder in einem Stück mitzuwirken, war ich sofort dabei und verschaffte mir damit Anerkennung."

Als Ausgleich zu seinem Lehrerberuf schloss sich Groß über Jahrzehnte dem traditionsreichen Duisburger Amateur-Theater "Bühne 47" an, spielte häufig figuren von Shakespeare und Molière. Seit zwei Jahren nimmt er auch Schauspielunterricht bei Tatjana Auster an der Volkshochschule. Ein Brief hat ihm den entscheidenden Schubs gegeben: "Als ich Anfang 60 war, bekam ich Post mit Tipps für Zerstreuung im Alter, Tanzen im Sitzen etwa oder Eichhörnchen im Park beobachten. Da musste ich dann doch lachen."

(RP)
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