Klage gegen Düsseldorfer Klinik Patientin soll stundenlang nicht behandelt worden sein

Düsseldorf · Die 38-jährige Nora klagte nach einer Operation am Bein über extreme Schmerzen – im Krankenhaus soll sie aber stundenlang nicht behandelt worden sein. Nun verklagen die Eltern die Klinik.

 Die 38-jährige Nora aus Düsseldorf hat stark unter den Folgen einer infizierten Operationswunde gelitten. Die Eltern werfen der behandelnden Klinik Untätigkeit vor.

Die 38-jährige Nora aus Düsseldorf hat stark unter den Folgen einer infizierten Operationswunde gelitten. Die Eltern werfen der behandelnden Klinik Untätigkeit vor.

Foto: Familie

Kein Geld der Welt kann verlorene Gesundheit zurückbringen oder menschliches Leid ungeschehen machen. Das ist auch den Eltern einer Modekauffrau aus Düsseltal bewusst. Trotzdem verklagen sie beim Landgericht jetzt die Gerresheimer Sana-Kliniken auf Zahlung von rund 200.000 Euro, weil dort im April 2016 der Leidensweg ihrer Tochter Nora begonnen habe, der ein tragisches Ende nahm.

Die damals 38-Jährige hatte nach einer Routineoperation am Bein über extreme Schmerzen geklagt, war vom behandelnden niedergelassenen Chirurgen freitags in die Gerresheimer Klinik überwiesen worden. Doch statt einer dringend nötigen Sofort-Behandlung der Patientin habe das Klinik-Personal laut Klage der Eltern rund 30 Stunden lang nichts unternommen. Mit fatalen Folgen für die 38-Jährige: Ihr Bein sei durch die Untätigkeit der Klinik und „ärztliches Vollversagen“ innerhalb weniger Stunden von innen heraus regelrecht verfault, heißt es nun in der Klage gegen das Krankenhaus. Die Eltern sehen die Schuld daran in einem Organisationsversagen der Klinik. Denn übers Wochenende sei dort nur ein Assistenzarzt im Dienst gewesen. Und der sei sogar für mehrere Stationen verantwortlich gewesen.

Sportlich, selbstbewusst und mit einem ausgeprägten Gespür für Schönheit und Ästhetik: So kannten die klagenden Eltern ihre Tochter Nora bis zu jenem schicksalhaften Aprilwochenende 2016. Doch in den nächsten 14 Monaten mussten sie dann ohnmächtig zusehen, wie ihre Tochter körperlich und seelisch immer mehr und mehr zerfallen sei, bis ihr Körper einer Baustelle glich – und die 38-Jährige trotz psychotherapeutischer Begleit-Behandlung immer verzweifelter wurde, sogar ihren Lebensmut verlor.

Dabei schien Nora eine Sportverletzung aus dem Jahr 2015 gut überstanden zu haben. Damals musste ihr eine Metallplatte in den linken Unterschenkel eingesetzt werden, das verlief problemlos, ein Jahr danach sollte die Platte per Routineeingriff ambulant wieder entfernt werden. Was genau bei dieser Operation eines erfahrenen Chirurgen passiert ist, wird sich wohl nie klären lassen. Der Operateur vermutete zunächst ein Kompartmentsyndrom, also eine sich nach innen ausdehnende Weichteilschwellung nach Verletzungen oder Operationen. Diese gilt medizinisch als akuter Notfall mit sofortigem Handlungsbedarf, denn durch den erhöhten Innendruck kommt es zu unzureichender Durchblutung des darunter liegenden Gewebes. Das wiederum kann schnell zum Absterben von Gewebe, also einer sogenannten Nekrose führen.

Um das bei Nora abzuklären und ihre schnellstmögliche Behandlung zu garantieren, überwies der Chirurg die 38-Jährige in die Gerresheimer Sana-Kliniken. Doch als die Patientin dort freitags ankam, seien die Fach-Ärzte des Krankenhauses schon im Wochenende gewesen, heißt es nun in der Klage der Eltern. Und ein diensthabender Assistenzarzt habe den Verdacht des Chirurgen-Kollegen angeblich nicht ernst genommen: Die Patientin habe trotz alarmierend ansteigender Entzündungswerte lediglich Schmerzmittel erhalten und den Rat, das frisch operierte Bein hoch zu legen und zu kühlen.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ihre Tochter Nora wohl kein Kompartmentsyndrom erlitten hatte, dass aber an gleicher Stelle eine andere, mindestens ebenso verheerende Ursache zu den starken Schmerzen und dem angeschwollenen Bein geführt hat. Offenbar waren Bakterien bei dem chirurgischen Eingriff in die Operationswunde gelangt, hatten dort zu einer schweren Infektion geführt, die große Teile von Haut, Unterhaut und Muskel in Mitleidenschaft gezogen hat. Eine solche rasant verlaufende „Fasziitis“ kann zum Tod führen, sie kann aber auch geheilt werden – falls antibiotisch behandelt und durch schnelles chirurgisches Eingreifen das infizierte Gewebe vollständig entfernt wird. Genau das soll laut Klage der Eltern an diesem Wochenende in den Sana-Kliniken Gerresheim aber unterlassen worden sein. Statt die Patientin sofort zu behandeln, sei fast zwei Tage lang mit ihr „nichts passiert“, so die Eltern. „Man tat einfach nichts – und hat Nora im Krankenhaus bei lebendigem Leibe verfaulen lassen“, tragen die Kläger nun vor. Bis die dramatische Lage dann doch erkannt wurde, seien die Fäulnis-Schäden im operierten Bein schon so weit fortgeschritten gewesen, dass eine Amputation drohte, um das Leben der Patientin überhaupt noch zu retten.

Um ihrer Tochter das zu ersparen, wurde die 38-Jährige auf Drängen der Eltern damals in eine Spezialklinik nach Bochum verlegt. Mit 16 Nachoperationen versuchten Ärzte in den nächsten Monaten, das Bein und das Leben der Frau zu retten. Dazu wurden etliche große Hautstücke und auch Muskeln von anderen Teilen ihres Körpers immer wieder auf das geschädigte Bein verpflanzt. Für die Tochter sei der rapide Zerfall ihres gesamten Körpers aber unerträglich gewesen, schildern die Eltern. Zumal Nora, so berichtet der Vater, auch noch erlebte, wie ihr geschundener Körper auf andere wirkte: Als ein Medizinstudent den Behandlungsraum betrat und den entstellten Körper der 38-Jährigen sah, soll er laut Klageschrift ohnmächtig zusammengebrochen sein. Für Nora sei das ein schlimmer Schock gewesen – und ihr sei auch klar geworden, dass ihr bisheriges Leben endgültig vorbei war.

Die Frau, die bei sich und bei anderen stets so großen Wert auf Ästhetik gelegt habe, die ihren ausgeprägten Sinn für Schönheit und Ebenmaß sogar zum Beruf in der Modebranche gemacht hatte – diese Frau habe einsehen müssen, dass diese Krankheits- und Operationsfolgen niemals wieder verschwinden würden. Und sie habe angefangen, ihren durch die Vielzahl der Operationen entstellten Körper als Fremdkörper abzulehnen: „Ich werde nie wieder ohne Ekel duschen gehen“, heißt es in einem Dokument, in dem die 38-Jährige auch ihre schweren seelischen Verluste aufzählt und das jetzt der Klageschrift beiliegt. Weiter heißt es darin: „Ich werde nie heiraten. Ich werde mir nie wieder schöne Unterwäsche kaufen. Ich werde nie wieder Träume haben.“

Erst 14 Monate nach ihrer Einlieferung in die Klinik Gerresheim war sie nach einer Reha-Maßnahme wieder im Ansatz fähig, stundenweise in ihre eigene Wohnung in Düsseltal zurückzukehren. Dass sie dann nicht mehr von ihren Eltern dauerhaft gepflegt, betreut und versorgt werden musste, war ihr nach vorliegenden Privatbriefen besonders wichtig. Denn das sei ihr Ziel während der Reha gewesen, schrieb sie – damit sie ihren letzten Wunsch verwirklichen und in ihrer eigenen Wohnung ohne Zeugen aus dem Leben scheiden konnte. „Ich möchte nicht sterben“, schrieb sie in einem dieser Briefe. „Aber so möchte ich noch viel weniger leben!“ Als sie die nötigen Utensilien für ihren Suizid durchs Treppenhaus getragen habe, sei sie von einem Nachbarn fast ertappt worden. Sie habe aber behauptet, sie brauche die Sachen für einen Kindergeburtstag.

Sie kam damit durch und starb im Juni 2017 von eigener Hand. Die Klinik hat nach langem Verfahren vor der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler zunächst pauschal 300.000 Euro als Schmerzensgeld gezahlt. Doch die klagenden Eltern hatten nach eigenen Worten eher auf eine Entschuldigung und auf Einsicht der Klinik-Leitung gehofft – und darauf, dass das Krankenhaus-Management die als fatal kritisierten Strukturen während der Wochenenddienste prüft und ändert. Da Einsicht, Reue und ein Wandel in der Klinik-Organisation aber keine einklagbaren Güter sind, haben die Eltern ihre Klage gegen die Klinik jetzt formell mit einer Geldforderung verknüpft.

Man hoffe aber, so Kläger-Anwalt Thomas Weimann, dass nun das Landgericht die Klinik-Leitung entsprechend auf die von den Klägern kritisierten Punkte hinweist. Zumal die Sana-Kliniken inzwischen nach einem Anwaltswechsel per Klageerwiderung sogar jegliche Schuld am Schicksal dieser Patientin zurückweisen. Das Klinik-Personal habe sich keine Versäumnisse vorzuwerfen, man habe alles richtig gemacht. Bestritten wird von den Klinik-Anwälten auch, dass die Patientin wegen angeblich fehlerhafter Nicht-Behandlung in Gerresheim überhaupt zum Pflegefall wurde, dass ihr Körper zur Unkenntlichkeit entstellt und verstümmelt worden sei, sie dadurch ständige Qualen durchlitten habe.

Letztlich wird sogar bestritten, dass die Briefe der verzweifelten Patientin wirklich von ihr stammen. Auf Nachfrage unserer Redaktion hat eine Klinik-Sprecherin jede weitere Erklärung abgelehnt – mit Hinweis auf das aktuell laufende Gerichtsverfahren. Dieser Prozess vor einer auf Arzthaftungsrecht spezialisierten Zivilkammer des Landgerichts beginnt am 2. Dezember.

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