Düsseldorf Gutachter: Bäume machen Deiche sicherer

Düsseldorf · Lothar Wessolly glaubt, dass Rosskastanien einem Deich nützen statt schaden. Wissenschaftler und Experten widersprechen vehement.

 Arbeiter beseitigen eine vom Orkan "Ela" herausgerissene Baumwurzel am Lohauser Deich. Das dadurch entstandene Loch gefährdet den Deich.

Arbeiter beseitigen eine vom Orkan "Ela" herausgerissene Baumwurzel am Lohauser Deich. Das dadurch entstandene Loch gefährdet den Deich.

Foto: H.-J. Bauer

Die Debatte um die Zukunft der rund 800 Düsseldorfer Deichbäume (s. Info) ist um eine Facette reicher. In einem Gutachten zum Verbleib einer Rosskastanien- und Lindenallee auf dem Neusser Rheindeich kommt der Stuttgarter Ingenieur und Baumstatiker Lothar Wessolly zu dem Schluss, dass bestimmte Wurzeln ("Vliese") wie ein Geotextil wirken und dadurch die Standfestigkeit des Deiches erhöhen können. "Es ergab sich eine signifikante Erhöhung des Standsicherheitsfaktors von 1,0411 auf 1,3390 durch das Vlies der Wurzeln." Freilich schränkt der gelernte Flugzeugbau-Ingenieur ein: "Hier müssten nun noch weitere Untersuchungen der Durchwurzelung folgen, um das Ergebnis abzusichern. Dann könnte es eines Tages heißen: Bäume auf die Deiche und nicht, was jetzt in der DIN festgehalten ist."

Damit spielt Wessolly auf die verbindliche Norm (DIN 19712) für die Gestaltung von Flussdeichen an. Sie untersagt Bäume auf oder in direkter Nähe zu Deichen, weil sie deren Stabilität nicht nur, aber ganz besonders beim Zusammentreffen von Sturm und Hochwasser gefährden. Der süddeutsche Ingenieur ist in Düsseldorf kein Unbekannter. Dem Freundeskreis Himmelgeister Kastanie hilft er, das Naturdenkmal zu erhalten. Außerdem berät er das städtische Gartenamt bei der Aufarbeitung der durch den Pfingstorkan "Ela" eingetretenen Baumschäden. Auf einer Tour mit Gartenamtsleiterin Doris Törkel will er morgen erläutern, welche Bäume trotz ersichtlicher Schäden gerettet werden können.

Wasserbau-Experten und Hochwasser-Schützer bezweifeln die Thesen des Baumstatikers. "Es gab in Sachen Neusser Deich eine interne Stellungnahme des staatlichen Umweltamts. Tenor: Die von Wessolly genannten Verfahren könnten nicht ohne weiteres zur Beurteilung der Erdstatik am Deich herangezogen werden", sagt Helmut van Wickeren vom Arbeitskreis Hochwasserschutz und Gewässer im Regierungsbezirk Düsseldorf. Und noch etwas gibt der frühere Deichgräf zu bedenken: "Der Orkan Ela hat rund 160 der 250 Neusser Rosskastanien beschädigt, 50 sogar sehr stark. Wessollys Gutachten konnte das noch gar nicht berücksichtigen."

Verwundert reagiert Wissenschaftler Claus Mattheck vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) auf Wessollys Annahme, das Feinwurzelvlies der Kastanien halte "wie ein Sack" das Erd-Sand-Gemisch des Deiches zusammen, stabilisiere die Statik und verhindere Ausspülungen. "Dieser vermeintliche Sack ist in Ordnung, solange es kein Hochwasser und keine starken Winde gibt. Dann aber kann er als Ganzes herausgerissen werden und ein großes Loch hinterlassen." Mattheck: "Eine Stadt an der Weser hat unlängst ihre Deiche mit Bäumen bepflanzt. Eine Schnapsidee, die nach der Beratung durch unser Institut rückgängig gemacht wurde."

(RP)
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