Düsseldorf Geschmacksträger in Grün

Düsseldorf · Statt mit teuren Gucci-Handtaschen lassen sich Düsseldorfer auf der Kö auch mit der Tüte der Konditorei Heinemann sehen - und nicht nur dort. Die Geschichte eines unwahrscheinlichen Statussymbols, dessen Design Grafikern die Haare zu Berge stehen lässt.

 Die grünste Handtasche Düsseldorfs - wer in der Konditorei Heinemann einkauft, lässt sich gerne eine Tüte geben.

Die grünste Handtasche Düsseldorfs - wer in der Konditorei Heinemann einkauft, lässt sich gerne eine Tüte geben.

Foto: Endermann, Andreas

An einem Wintertag im Jahr 2009 stellte Heinz-Richard Heinemann fest, dass ein Mann in 8500 Kilometer Entfernung die grüne Plastiktüte der Konditorei nicht dazu nutzte, um Pralinen zu transportieren. Er war es gewohnt, dass die Leute ihm Fotos schickten, auf denen ihre Babys oder Hunde oder Katzen in der Tüte saßen.

 So fing alles an. Den Prototypen malte Konditor Heinz-Richard Heinemann noch selbst. Zum Glück wurde die Tüte später grün und die Schrift weiß.

So fing alles an. Den Prototypen malte Konditor Heinz-Richard Heinemann noch selbst. Zum Glück wurde die Tüte später grün und die Schrift weiß.

Foto: Endermann, Andreas

Aber das war doch etwas anderes. Vor ihm lag ein Foto, das ein aufmerksamer Kunde während des Urlaubs in Indien gemacht hatte. Es zeigte einen Inder, der vor einem Tempel stand und eine Heinemann-Tasche in der Hand hielt. In dieser bewahrte er Baumwollfüßlinge auf, die er an Touristen verkaufte, weil es untersagt war, den Tempel mit Schuhen zu betreten. Mit nackten Füßen wollten sie aber auch nicht hinein.

 Diese Tüte kommt rum. Ein Heinemann-Kunde machte dieses Foto vor einem Tempel in Indien.

Diese Tüte kommt rum. Ein Heinemann-Kunde machte dieses Foto vor einem Tempel in Indien.

Foto: Peter Nitz

Die grüne Heinemann-Tüte mit dem Slogan "Ich liebe Pralinen von Heinemann" ist ein ungewöhnlicher Anblick in Indien, in Düsseldorf und auf der Kö lässt sie niemanden zur Kamera greifen. Rund 250 000 Mal gehen die Plastik- und die beiden Papiertaschen im Jahr in den dortigen Filialen über die Ladentheke.

Damit reicht sie zwar nicht an die Riesen von Saturn und H&M heran, doch gleicht sie das durch ihr Design aus. Das hat sie zu einem Statussymbol gemacht, wie es sonst Tüten von Gucci oder Versace vorbehalten ist. Heinz-Richard Heinemann veranschaulicht das so: "Wenn ein Japaner bei uns fünf Baumkuchen kauft, dann will er zehn Tüten dazu."

Produziert werden sie in Rheinland-Pfalz und kosten pro Stück knapp neun Cent im Einkauf. Dass es diese Tüte überhaupt gibt, hat viel mit Langeweile zu tun. In den 1970ern geht Heinemann in die Schweiz, um Konditormeister zu werden. Als er zurückkehrt, sind im Betrieb seiner Eltern alle wichtigen Stellen besetzt. Ihm fehlt eine Aufgabe. Also beschließt er, sich um etwas zu kümmern, das für Konditoren damals völlig unüblich ist: Marketing.

Es ist die Zeit, in der das Unternehmen anfängt, seine Filialen modern zu gestalten, mehr Wert auf Verpackung zu legen, um sich von der Konkurrenz abzuheben, und es ist die Zeit, in der Heinemann Junior das Design der heutigen Tüte erfindet. Damals ist die Konditorei vor allem für ihre Kuchen und Torten bekannt, aber noch nicht für ihre Pralinen. Das wird nun anders, auch dank der Tasche. Die war bisher blassrosa, dezent bedruckt.

Mit dieser Schlichtheit bricht Heinemann: Er besorgt sich eine weiße Papiertüte und schreibt darauf "Ich liebe Pralinen von...", in der Schreibschrift, die er in der Volksschule gelernt hat. Genau in dieser Schrift wird der Spruch später auf den Tüten landen. Der Firmenname kommt weiter in jener schwer lesbaren Schriftart darauf, die sich seit 1932 bewährt hat.

Heinemann malt einige Herzen und krumme Linien auf den Prototyp. Es sind keine lang durchdachten Entscheidungen. Alles, was später auf der richtigen Tüte landen wird, kommt aus dem Bauch heraus. Die Idee, die Tüte grün zu färben, hat allerdings ein anderer. Der Designer Horst Mindt, der auch für die Gestaltung der Filialen zuständig ist, mag Grün, weil Grün eine Wohlfühlfarbe ist. Außerdem setzt kein anderer Konditor sie ein. Er entscheidet sich für das sehr an Gras und Frühling erinnernde HKS 65.

Die Schrift soll rot werden, doch weil Vater Heinemann das in der Herstellung zu teuer ist, bleibt sie weiß. Mit dieser Sparsamkeit verhindert Heinemann senior nebenbei ein Farbmassaker. In den 1980ern kommen noch die schwarz-weißen Rallyestreifen hinzu, die den Rahmen der Tüte bilden. Die Idee hat eine Innenarchitektin, die diese Kombination auch in den Filialen einsetzt und meint, die Farben würden das Design noch eleganter machen. Auch die Städte, in denen Heinemann Filialen hat, landen auf der Tüte. Doch oben steht nicht etwa Mönchengladbach, der Sitz des Unternehmens, sondern Düsseldorf. Heinemanns Kalkül: Düsseldorf klingt einfach mehr nach Luxus als Mönchengladbach. Auch wenn er weiß, dass die Gladbacher dies nicht gerne hören.

Mittlerweile kann er diese Entscheidung sogar betriebswirtschaftlich rechtfertigen. In keiner Stadt macht Heinemann mehr Umsatz als in Düsseldorf. Nun ist aber die Sache mit der Tüte die: Es ist ohne Mühe möglich, Designer und Grafiker zu finden, die das grüne Statussymbol furchtbar finden. Sie kritisieren, dass der Firmenname nicht lesbar ist. Dass die Farbe Grün nichts mit Pralinen und Torten zu tun hat. Dass die Tüte viel zu stark bedruckt ist. Zu viele Herzen, zu viele Schriftarten. Zu viel. Zu viel. Zu viel. Und dann noch diese unmöglichen Rallyestreifen.

Heinemann hat jede Kritik schon tausendmal gehört. Regelmäßig schicken ihm Designer eigene Entwürfe. Auf denen ist dann bis auf den Heinemann-Schriftzug und "Ich liebe Pralinen von..." nicht viel vom Original übriggeblieben. Heinemann ignoriert diese Vorschläge und behält sein Design. Obwohl die Tüte tatsächlich kein Vorbild in Sachen schlichter Ästhetik ist, liegt er damit genau richtig. Denn die Gestaltung drückt aus, wie die Konditorei Heinemann funktioniert.

Wer das begreifen will, muss bloß an einem beliebigen Tag die Filiale an der Blumenstraße besuchen. Er sieht dort Regale und Tische voller Champagnertrüffel, Mutzenblätter, Käsestangen, Salzmandeln, Marzipan, Florentiner, Mandelsplitter, Ingwerstäbchen, Baumkuchen und und und. Sie sind aufwändig verpackt in Rot und Gold und Silber. Er sieht Torten, auf denen sich Himbeeren und Erdbeeren türmen. Er sieht Verkäuferinnen, die ihre Schürzen am Rücken mit einer riesigen Schleife zusammenhalten. Die Schleife ist schwarz-weiß wie der Rand der Tüten. Er sieht Verkäufer, die Fliege tragen. Er sieht Kunden, die eher 50 als 20 sind. Eher gutbürgerlich als studentisch. Eher dunkel als bunt gekleidet. Er sieht Fernseher, auf denen gezeigt wird, wie viel Handarbeit in den Produkten steckt. "Wir pflegen das Besondere" steht dort. Er sieht nur selten: Sonderangebote.

So läuft das bei Heinemann, und das drückt auch die Tüte aus: So zu tun, als sei das Unternehmen kein Unternehmen der Gegenwart, sondern aus der Vergangenheit. Eines, das nicht in diese Zeit passt. Heinemann will ja gar nicht damit werben, modern zu sein. Im Gegenteil. Denn mit der Moderne verbinden wir Massenproduktion und Geschmacksverstärker. Heinemann will seiner Zeit deshalb nicht voraus sein, sondern bewusst zurückbleiben. Dazu passt der 80 Jahre alte Heinemann-Schriftzug auf der Tüte. Dazu passt das handgeschriebene "Ich liebe Pralinen von..." Das überfüllte und überhaupt nicht zeitgemäß schlichte Design zeigt: Lieber von allem etwas zu viel - Torten, Regale, Verpackung - es wird an nichts gespart. Auch nicht am Preis. Das Grün und die Herzen sorgen für Freundlichkeit, die auch von den Verkäuferinnen ausgehen soll, deren Outfits ebenfalls in die Vergangenheit verweisen, als ein Besuch im Café noch zum Sonntagsritual gehörte.

Das Grün und der Pralinen-Slogan zeigen aber auch, dass Heinemann selbstbewusst in die Welt ruft: "Seht her, alle lieben unsere Pralinen." Tu Gutes und lass andere darüber sprechen. Denn der Kunde, der Träger dieser Tüte, wird auch zum Träger dieser Botschaften. Ob er will oder nicht, verkündet er: Ich liebe Pralinen von Heinemann. Dass er die Tüte nicht in die Handtasche oder den Rucksack stopft und damit die Botschaft verbirgt, dafür sorgt in der Plastikversion der Bügel, in der Papierversion das Papier selbst.

Doch die Tasche sagt auch vieles über den Träger selbst, selbst wenn ihm dies in dem Moment gar nicht klar ist. Heinz-Richard Heinemann ist überzeugt, dass sie für viele eher ein unbewusstes Statussymbol ist. Der Besitzer zeigt, dass für ihn Qualität vor Sparen geht, Handarbeit vor Massenproduktion. Dass er einen guten Geschmack hat und sich auch mal etwas gönnt. Er orientiert sich an Werten, die in der Gegenwart zu kurz kommen.

Eine volle Tüte signalisiert zudem Geselligkeit, denn alleine wird er das alles wohl kaum verspeisen. Er grenzt sich damit auch von den Trägern anderer Einkaufstaschen ab. Die Exemplare von Saturn, H&M und so weiter stehen für nichts Besonderes. Jeder kauft dort ein, und das auch nicht wegen irgendeiner Qualität. Ausgewiesenen Geschmack braucht es auf jeden Fall nicht. Es gibt keinen Guck-Mal-Effekt. Diese Tüten sind bloß Tragetaschen und Werbeträger.

Die Tüten von Luxusmarken sind zwar Statussymbole, aber sie signalisieren "Guckt mal, ich kann es mir leisten". Das wirkt auf andere schnell arrogant. Luxustüten sind ja auch deshalb so dezent gestaltet, weil die Marke ohnehin schon protzig genug ist. Heinemann-Tüten bedürfen dieser Zurückhaltung nicht, denn sie werben vorrangig mit Qualität, nicht mit "Ich kann es mir leisten", und wer hat schon etwas gegen Qualität?

Noch nie hat Heinz-Richard Heinemann erlebt, dass jemand seine alte Tüte mit in die Filiale gebracht hat. Alle wollen immer eine neue. Später nutzen sie diese häufig für andere Zwecke. Tarntüten heißen die Tüten prestigeträchtiger Marken, die eingesetzt werden, um Konsumgüter aus weniger prestigeträchtigen Kaufhäusern zu transportieren. Die werden sogar bei Ebay versteigert. Dass dort keine von Heinemann angeboten wird, liegt einfach daran, dass es auch schon reicht, ein Brot für zwei Euro zu kaufen, um eine zu bekommen. Auch Heinz-Richard Heinemann transportiert in der Tüte nicht bloß Pralinen und Kuchen. Wenn er genug altes Brot darin gesammelt hat, geht er die Schafe füttern.

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