Reiterstaffel für Demos und Fußballspiele Der NRW-Polizei gehen die Pferde aus

Willich · Seit etwa zehn Jahren hat die NRW-Polizei wieder eine eigene Reiterstaffel. Kein Einsatzmittel wirkt besser gegen aggressive Demonstranten und Fußballfans. Aber es wird immer schwerer, geeignete Pferde zu finden.

 Mit übergroßen Gymnastikbällen wird im Trainingszentrum in Willich das Wegdrängen von Personen geübt. Für die Pferde ist das ein Spiel, sie sollen lernen, dem Ball zu folgen.

Mit übergroßen Gymnastikbällen wird im Trainingszentrum in Willich das Wegdrängen von Personen geübt. Für die Pferde ist das ein Spiel, sie sollen lernen, dem Ball zu folgen.

Foto: Anne Orthen (ort)

Rudi rollt hektisch die Augen. Sie sind groß wie Tischtennisbälle. Wenn der 19-jährige Wallach sie ganz nach oben verdreht und seine Pupille hinter den langen Wimpern verschwindet, taucht unter dem unteren Lidrand eine Corona blutroter Adern auf, und man weiß nicht, ob man mehr Angst vor dem oder um das riesige Pferd haben soll.

Aber Silke Hoffmann lässt nicht locker. Sie steht in fordernder Pose vor dem Pferd. Immer näher hält die Polizeihauptkommissarin ihm eine zuckende Fahne vor das Gesicht. Rudi muss davor stehen bleiben. Daran vorbei traben. Sich die Fahne vor die Nüstern, die Augen und die Ohren halten lassen. Am Ende seift die Polizistin Rudis Kopf mit der Fahne regelrecht ein. Aber der schwarze Wallach bleibt ruhig. Unwirklich ruhig. Seine Beine machen keine Bewegung. Diese erlaubt ihm sein Reiter mit dem weißen Polizeihelm auf dem rund 1,80 Meter hohen Pferderücken nicht. 700 Kilo Lebendgewicht unter der Kontrolle eines kaum zentimeterbreiten Zügels. Geballte Energie. Wie ein Pfeil auf einem zum Bersten gespannten Bogen, den der Schütze jederzeit abschießen könnte.

„Pferde sind Fluchttiere“, erklärt Melanie Lipp. „Die große Herausforderung ist, diesen Instinkt zu kontrollieren.“ Die Polizeihauptkommissarin leitet seit 2015 die Reiterstaffel der NRW-Polizei am Stützpunkt Willich. Wer glaubt, das Trainingszentrum in dem 1898 erbauten Gehöft sei ein idyllischer Ponyhof, irrt. 19 Polizisten arbeiten dort täglich mit 17 Polizeipferden, denen sie beibringen müssen, was Pferde am wenigsten können: unter Stress eben nicht durchzudrehen. Ihren Reiter nicht abzuwerfen, nicht auf die Hinterbeine zu steigen, nicht planlos davonzurennen, wie erschrockene Pferde es seit Jahrtausenden machen. Nicht, wenn hinter ihnen ein Bengalo abfackelt, nicht, wenn vor ihnen ein Chinaböller explodiert, und auch nicht, wenn sie im weichen Sand auf dem Boden ihrer Trainingshalle in Willich plötzlich über eine verdeckte Plane laufen, was sich für die Pferde unter den Hufen anfühlt, als würde der Boden wegbrechen.

„Intensives Training, Zeit und viel Fachwissen braucht es, um aus einem geeigneten Pferd in zwei bis drei Jahren ein sicheres Einsatzpferd zu machen“, sagt Lipp, die schon von Kindesbeinen an reitet und auch privat fünf Pferde ihr eigen nennt. Der Sinn dieses Aufwandes wird schnell klar, wenn man die klassischen Einsatzbereiche von Polizeipferden kennt: krawallträchtige Menschenmassen bei Fußballspielen und Demonstrationen zum Beispiel. „Polizeipferde sind sehr groß und erzeugen natürlichen Respekt“, sagt Hauptkommissarin Lipp. Von der hohen Sitzposition aus haben die Beamten gerade bei Massenveranstaltungen einen hervorragenden Überblick, und sind auf dem Pferderücken sehr beweglich. „Gleichzeitig wirken Pferde auf viele Menschen unterbewusst deeskalierend.“

Eine Kleingruppe randalierender Fans sei mit keinem anderen Einsatzmittel der Polizei so effizient von einer anderen wegzudrängen wie mit einem gut dressierten Polizei-Wallach. Das Wegdrängen von Personen üben Pferde und Reiter etwa mit übergroßen Sitzbällen, die sie auf Kommando mal vor sich her dribbeln und mal seitlich wegschieben. Lipp: „Für die Pferde ist das ein Spiel. Wir müssen ihnen beibringen, dass sie dem Ball folgen und nicht vor ihm weglaufen.“

Den Pferden macht dieses Spiel Spaß. Aber für Lipp und ihre Kollegen wird es immer schwieriger, die passenden vierbeinigen Kollegen zu finden. „Von den 51 Pferden, die wir seit 2015 zur Probe hier hatten, waren nur sieben für den Polizeidienst geeignet“, sagt die Leiterin der Reiterstaffel. Der Grund: Nur die großen Warmblüter sind einerseits stark und flink genug, gleichzeitig aber nicht so nervös und schwer zu kontrollieren wie Vollblüter. Die trägen Kaltblüter wiederum brauchen zu lange, um ihre „polizeilichen Aufgaben“ zu begreifen.

„Früher waren Warmblüter als Allround-Pferde weit verbreitet“, erzählt Lipp. Der Bauer spannte sie vor den Pflug und nutzte sie als Jagdpferd. Warmblüter waren überall für vergleichsweise kleines Geld zu haben. Inzwischen sind Pferde aber fast nur noch Freizeitpartner. Die Züchter haben sich deshalb auf Spring- und Rennpferde spezialisiert. Den früheren Warmblütern werden immer mehr Vollblutanteile eingezüchtet. Und für die wenigen, die überhaupt noch für den Dienst taugen, muss die Polizei zwischen 7000 und 11.000 Euro zahlen. Für die Organisatoren der Reiterstaffel scheinen die Hürden heute größer als für die Pferde zu sein. Auch das Landgestüt in Warendorf kann den Bedarf der Polizei nicht decken.

Trotzdem sind die Pferde aus dem Polizeialltag nicht mehr wegzudenken. Die damalige rot-grüne Landesregierung wagte 2003 den Versuch und schaffte die Polizei-Reiterstaffeln ab. Nur drei Jahre später bekam die Polizei ihre Pferde zurück. Es ging schlichtweg nicht ohne. Heute hat die NRW-Polizei wieder 34 Pferde und 42 Reiter an den beiden Standorten Willich und Dortmund. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) will die Staffeln an einem Standort zusammenlegen, dem Vernehmen nach im Bochumer Süden. „Wann genau und an welchem Ort diese Zusammenführung erfolgt, steht noch nicht fest“, heißt es im NRW-Innenministerium.

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