Oberhausen Oberhausener gegen Therapie-Gefängnis

Oberhausen · Entlassene Schwerkriminelle sollen in einer ehemaligen Oberhausener Haftanstalt untergebracht werden. Das Gebäude liegt in Nähe von Schulen und Kindergärten. Auf einer Informationsveranstaltung des Landes wollen Anwohner und Eltern heute Abend ihrer Empörung Luft machen.

An den Fenstern des Elsa-Brändström-Gymnasiums hängen bunte Sterne und Tannenbäume aus Pergamentpapier, Zeugnisse weihnachtlichen Bastelfleißes. Gut 50 Meter entfernt prägt eine ganz andere Art von Fensterschmuck ein unscheinbares Gebäude. Nur Gitterstäbe und Stacheldrahtreiter verraten, dass hier bis Freitag die Justizvollzugsanstalt Oberhausen untergebracht war. Keine angenehme Nachbarschaft für eine Schule, doch es soll noch schlimmer kommen. Den in der vergangenen Woche auf andere Gefängnisse verlegten Kleinkriminellen werden bald Mörder und Sexualtäter folgen, die ihre Haftstrafe verbüßt haben, aber nicht länger in Sicherungsverwahrung gehalten werden dürfen. "Wir sind völlig fassungslos, dass jemand überhaupt auf die Idee kommen konnte, solche Leute bei uns mitten in der Stadt unterzubringen", sagt Carolin Buttke, Vorsitzende der Schulpflegschaft des Gymnasiums.

Zwei weitere Schulen, die Albert-Feld-Grundschule und das Hans-Böckler-Berufskolleg, liegen in unmittelbarer Nähe der Haftanstalt, Kindergärten sind ebenfalls nicht weit entfernt. Entsprechend empört reagieren die Bürger auf die vor zehn Tagen bekannt gewordenen Pläne der Landesregierung. "Warum bringt man gefährliche Kriminelle nicht auf dem platten Land unter, wie zum Beispiel im Gefängnis Geldern-Pont", fragt Melanie Wünsche (38), Mutter von vier Kindern.

Doch genau das ist nicht möglich. Die bis zu 31 künftigen Insassen der ehemaligen JVA haben zwar schwerste Verbrechen begangen. Trotzdem dürfen sie aufgrund eines Beschlusses des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg nicht länger in Haft gehalten werden. Über alle künftigen Insassen der Oberhausener Haftanstalt haben Richter nachträglich im Anschluss an die Haftzeit Sicherungsverwahrung verhängt, weil sie eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Doch darin sehen die Europa-Juristen einen Verstoß gegen die Menschenrechte. Mehrfach gaben sie klagenden Insassen von Sicherungsverwahrungs-Einrichtungen Recht. Die Folge: Allein in NRW mussten nach dem Straßburger Urteil 16 Gefangene aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. 15 weitere werden vermutlich noch in diesem Jahr folgen.

Zum Teil überwachen Polizisten die Freigelassenen. Als die Kontrollen in einem Fall in Duisburg-Homberg gelockert wurden, attackierte der Ex-Häftling prompt ein Kind.

Damit sich dergleichen nicht wiederholt, beschloss die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres das Therapie-Unterbringungsgesetz. Die aufgrund des Straßburger Urteils aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen sollen getrennt vom Justizvollzug in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden. Deshalb zeichnet in NRW nicht das Justizministerium, sondern Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) für die neue Einrichtung verantwortlich. Das Personal für die neue Einrichtung werde allerdings laut Gesundheitsministerium "aus Justizvollzugsbeamten mit Erfahrungen in der Sicherungsverwahrung" sowie Therapeuten – vermutlich aus der Forensik – bestehen. Das Oberhausener Gefängnis mit einer Kapazität von 80 Plätzen soll umgebaut, Zellen durch Herausreißen von Zwischenwänden vergrößert werden.

Ob man dadurch die Europa-Richter davon überzeugen kann, dass es sich bei dem Projekt um eine Therapie-Einrichtung und keine Haftanstalt handelt, steht in den Sternen.

Ganz glücklich ist Oberhausens Bürgermeister Klaus Wehling (SPD) über das Vorgehen der Landesregierung nicht. "Ich habe in der Sache keine Entscheidungsbefugnis", sagt er. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft habe ihm jedoch versprochen, dass Oberhausen nur eine bis zum 31.Dezember 2012 befristete Übergangslösung sein werde. Zudem werde es auch keinen Freigang am Ort geben, versichert er. Trotzdem steht er unter Druck: "Wehling", so urteilt der CDU-Fraktionsvorsitzende Daniel Schranz, "hätte sich vor die Bürger stellen müssen."

Auch um 19 Uhr im Café "Transatlantik" ist die Stimmung gegen den OB. Zu den Gründungsmitgliedern einer Bürgerinitiative zählt Ines Hiltrop. Ihre 16-jährige Tochter geht aufs Brändström-Gymnasium. Sie glaubt, dass Wehling die Gefängnisumwandlung akzeptiert hat, um als Gegenzug von der Landesregierung Unterstützung für seine Innenstadt-Planung zu bekommen. Ihr Urteil: "Der OB hat uns verkauft, und das werden ihn die Bürger spüren lassen."

(RP)
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