Reinhold Messner "Wir hatten nichts außer den Felsen"

Er ist der bekannteste Bergsteiger dieser Zeit: Reinhold Messner (69) stand auf 3500 Gipfeln, machte 100 Erstbegehungen und durchquerte die größten Wüsten der Welt. Seine Erfahrungen beschreibt er bei Vorträgen.

 Reinhold Messner ist gerade dabei, eine dreiteilige Filmreihe über das Himalaya-Gebirge fertig zu stellen.

Reinhold Messner ist gerade dabei, eine dreiteilige Filmreihe über das Himalaya-Gebirge fertig zu stellen.

Foto: Heinz Hess

Sie haben Ihr Leben lang einen Rekord nach dem anderen gebrochen. Was reizt Sie daran, immer wieder neue Gipfel zu erklimmen?

Messner Für mich gibt es am Berg keine Rekorde, weil ich kein Sportler bin, sondern Abenteurer. Ich bin in Südtirol groß geworden, in den Dolomiten, und schon als Kind auf Berge geklettert. Nach dem Krieg gab es keine Möglichkeit, irgendwo Fußball zu spielen oder das Schwimmbad zu besuchen. Wir hatten nur die Felsen, und auf die sind wir hinauf- gestiegen. Dann wurde daraus eine Leidenschaft. Ich habe immer wieder versucht, dort anzuknüpfen, wo die großen Vorgänger, die Eroberer, die Abenteurer, aufgehört hatten.

Aufgewachsen in den Bergen: Meinen Sie, Ihr Leben wäre ohne diese frühe Prägung anders verlaufen?

Messner Sicherlich. Ich bin nicht der geborene Kletterer oder Abenteurer, sondern ich bin durch meine Biografie dazu geworden. Das war kein Zufall, sondern hing damit zusammen, wie ich aufgewachsen bin — in welchem Elternhaus, in welcher geografischen Lage und in welcher Zeit.

Was war die schlimmste Erfahrung, die Sie unterwegs gemacht haben?

Messner Das Schlimmste war mit Sicherheit die Geschichte am Nanga Parbat, als mein Bruder starb. Aber auch als ich krank war und mich auf 8000 Metern der Jetstream mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Stundenkilometern überfallen hat. Da war es sehr schwierig, am Leben zu bleiben. Darum geht es am Ende immer: Überlebe oder sterbe ich? Der Gipfel ist absolut sekundär.

Haben sie denn keine Angst vor dem Tod?

Messner Doch, ich habe Angst wie alle anderen Menschen auch. Aber wenn es hart auf hart kommt, wenn der Tod eine nahe Möglichkeit ist, dann ist er kein Problem mehr. Wir fürchten uns dann alle nicht mehr vor dem Tod. Das ist wohl eine allgemeine menschliche Fähigkeit, denn sonst würden wir alle verzweifeln, wenn wir älter werden.

Sie haben sich auf Ihren Expeditionen immer auch mit der Politik des jeweiligen Landes beschäftigt. Warum war Ihnen das wichtig?

Messner Das war nicht immer so, aber in den letzten 40 Jahren war das der Fall. Ich habe immer mehr angefangen, mich mit der Gesellschaft vor Ort zu beschäftigen und habe dann auch die Stiftung gegründet, mit der ich Bergvölker unterstütze. Kurze Zeit saß ich im europäischen Parlament, wo ich viele Hintergründe erfahren habe. Gerade komme ich aus Pakistan, wo ich mich mit Politikern und Generälen über die aktuelle Problematik unterhalten habe. Darüber gibt's bald einen Film im deutschen Fernsehen. Das ist heute Teil meiner Arbeit. Aber in den jungen Jahren war ich völlig gipfel-fokussiert. Später hat sich das ausgedehnt auf die Menschen, die in den Gebirgen leben.

Wie kam es zu dem Interesse?

Messner Das hat sich so ergeben, anfangs aus praktischen Gründen. Zum Beispiel interessiert es mich natürlich, warum plötzlich ein Gebiet gesperrt ist. Wir waren gerade am Nanga Parbat, um dort zu drehen, und wurden von einer Leibgarde begleitet. Sechs Soldaten waren dabei, die ununterbrochen aufgepasst haben, weil das solch ein Sperrgebiet ist. Da kommt man nur mit einer Sondergenehmigung hin.

Konnten Sie denn auch Einfluss auf die Verhältnisse nehmen, was leistet etwa Ihre Stiftung?

Messner Die Messner Mountain Foundation kümmert sich um die Berggebiete. Wir haben Schulen gebaut und bei Hochwasser geholfen, wir haben ein ganzes Dorf wieder aufgebaut, das bei einer Hochwasser-Katastrophe mitgerissen worden ist. Ich bin gerade dabei, eine Geburtsstation am Fuße des Nanga Parbat einzurichten, weil die Frauen ohne sie wochenlang zur nächsten Klinik laufen müssen. Das ist im Grunde Sozialarbeit.

Wie wohnt Reinhold Messner heute?

Messner Ich wohne immer noch im Zelt, wenn ich unterwegs bin. Aber im Hochsommer wohne ich in einem Schloss in Südtirol, das im Frühling und im Herbst als Museum dient. Im Winter leben wir den Kindern zuliebe — weil es für sie zur Schule näher ist — in einer Stadtwohnung in Meran unterhalb der Alpen.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie überhaupt zu Hause?

Messner Das zähle ich nicht. Aber ich würde sagen: Früher war ich ein halbes Jahr außerhalb Europas unterwegs. Heute bin ich ein halbes Jahr unterwegs als Vortragsreisender, als Expeditionsreisender, als Stifter. Aber ich begebe mich nicht mehr so viel in extreme Situationen wie in jungen Jahren.

Das heißt, die Familie muss sich nicht mehr so oft Sorgen machen?

Messner Nein, die braucht sich keine Sorgen zu machen. Ich bin ein älterer Herr. Aber ich werde die nächsten Jahre und Jahrzehnte, die ich noch habe, intensiv ausfüllen.

Welches ist Ihr nächstes Projekt?

Messner Ich bin gerade dabei, eine dreiteilige Filmreihe über das Himalaya-Gebirge fertig zu stellen. Dafür sind wir im November und Dezember wieder in Indien, unmittelbar nach diesen Vorträgen.

Was erwartet die Besucher der Vorträge?

Messner Ich beschreibe viele kleine Geschichten, die in der Summe das ausmachen, was ich erlebt habe. Mir geht es um die Emotionen. Ich möchte, dass die Besucher verstehen, wie ich mich unterwegs gefühlt habe. Dazu zeige ich zahlreiche Bilder und Filmausschnitte. Geografisch verteile ich die Berichte über die komplette Erdkugel.

JULIA PUZALOWSKI FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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