Geschichte der englischen Krankheit Älter als gedacht: Rachitis schon bei den Neandertalern

Köln (rpo). Als Krankheit der industriellen Revolution ist Rachitis hinreichend bekannt. Die englische Krankheit ist jedoch ein viel älteres Phänomen, das bereits bei den Neandertalern auftrat.

In einer Studie des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität zu Köln von Dr. Andrea Böttcher sind verblüffende Details über die heute sehr selten gewordene Mangelerscheinung an Vitamin D entdeckt worden.

Die Krankheit ist mittels vorbeugender Maßnahmen in den Industrienationen immer seltener geworden. Sie kann heute als ein Teil der Gesellschaftsgeschichte des 18. und 19. Jh. gesehen werden.

Schon vor Jahrtausenden litten die Neandertaler an Knochenerweichung. Erklärt wird dies durch die zunehmende Dunkelheit während der Eiszeit. So konnte die stark pigmentierte Haut der Urbewohner nicht mehr genügend Vitamin D produzieren. Bei ägyptischen Mumien wurden keine eindeutigen Beweise für oder gegen die Existenz der Krankheit festgestellt. Doch wurden an Skeletten junger, im Tempelbezirk von Theben gefangen gehaltener Affen Rachitismerkmale entdeckt.

Krankheit der feinen Leute

Das Krankheitsbild wird erst im 17. Jh. offiziell erfaßt. Zu jener Zeit galt Rachitis als eine Krankheit der feinen Leute. Ein prominentes Rachitisopfer war Prinzessin Elisabeth, Tochter König Charles I. von England. Durch sie wurde das Leiden das erste Mal als ein besonderes medizinisches Phänomen erkannt. Vorreiter der Rachitisforschung wurden daher die Engländer.

Mit der industriellen Revolution und der Kinderarbeit begann auch die massenhafte Verbreitung der Krankheit. Ständige Dunkelheit, miserable hygienische Verhältnisse sowie schlechte und unzureichende Ernährung führten zu vielen Mißbildungen. Die Kinder mußten meist ab dem vierten Lebensjahr mit der Arbeit in den Bergwerken beginnen. Im Winter konnte es passieren, daß die Kinder wochenlang kein Tageslicht sahen. Mit sechs Jahren mußten sie dann die Kohlenkarren bis zu zwölf Stunden am Tag ziehen.

Entdeckung als UV-Lichtmangelerkrankung

In der zweiten Hälfte des 19. Jh. kam es zu der Institutionalisierung eines neuen Fachgebietes der Medizin, der Pädiatrie. Da sich im Laufe der Zeit die Lebensbedingungen der unteren Schichten verbessert hatten und die Arbeiterbewegung zu einem politischen Machtfaktor geworden war, wurde auf das Wohl der Kinder mehr geachtet.

Erst nach der Entdeckung der Rachitis als UV-Lichtmangelerkrankung, gegen Ende des Jahrhunderts, wurde die eigentliche Lösung des Problems gefunden. Den Durchbruch lieferte die Erkenntnis, daß in Lebertran ein antirachitischer Stoff enthalten ist, das heute allen bekannte Vitamin D.

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