Doping per Hirn-Chip Wie sehr darf das Gehirn manipuliert werden?

Alpbach · Es könnte die Medizin und das gesellschaftliche Leben revolutionieren, wenn Gehirnstimulationen die Neigungen von sexuellen Straftätern hemmen, Gelähmte durch Hirn-Chips wieder gehen können, oder Kriegsopfer ihr Traume buchstäblich automatisch überwinden. Aber ist das Frankensteinslabor - oder dürfen Mediziner das?

Neuroimplantate – Das ist möglich
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Dieses Bergdorf Alpbach ist, wie die gemütliche Anfahrt im Postbus erwarten lässt, ein beschauliches Nest, das schon Blumenwettbewerbe als das schönste Dorf Tirols gewonnen hat. Doch gerade dort oben rauchen oft Köpfe und schmoren Gehirne, wenn in Gesprächsrunden, Workshops und Foren die Welt am Scheideweg in die Zukunft verhandelt wird.

Ums Gehirn ging es diesmal, bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen anlässlich des "Europäischen Forums", in verschärftem Maße: Die Experten debattierten über das heikle Thema Neuro-Doping.
Das Hirn empfinden wir als unantastbaren Ort, als heiligen Sitz der Seele, als erhabene Steuerzentrale, die jedem Eingriff von außen entzogen sein sollte. Dass Ärzte operativ zum Gehirn vordringen, scheint dem Laien nur bei Patienten mit lebensbedrohlicher Erkrankung angezeigt. In Wirklichkeit nähern sich Ärzte dem Gehirn schon aus scheinbar geringerem Anlass. Neurochirurgen können Parkinson-Fälle in frühem Stadium effektiv mit der Tiefenhirnstimulation behandeln; sie hilft auch bei Bewegungsstörungen wie Schiefhälsen, Spastiken, Schreibkrämpfen, konvulsivischen Zuckungen oder unkontrolliertem Zittern der Glieder.

Pillen fürs Examen Für all dies gibt es einen unschuldigen Begriff: Therapie. Es gibt aber auch Überlegungen, das Gehirn zu optimieren, in seine Kompetenzen einzugreifen, ohne dass eine medizinische Indikation besteht. Diese Manöver nennt man Enhancement. Anwendungsgebiete dafür haben wir Menschen seit je behauptet: Wir wollen besser lernen, gelassener werden, Stress vermeiden, Müdigkeit ausschalten. Ältere Drogerien- und Apothekenbesucher erinnern sich freudig oder mit Grausen etwa der Präparate "Galama" (eher für Senioren) oder "Sanostol" (für Kinder). Wenig klar war den meisten Benutzern, dass diese vorgeblich harmlosen Mittelchen, jeweils als mildes Nerven- und Kreislauf-Tonikum getarnt, pharmakologisch relevante Stoffe enthielten. In neuerer Zeit bleiben viele bevorzugt mit Energy-Drinks wach, die legal und deftig wie rote Bullen reinhauen. Oder sie schlucken gleich Methylphenidat, das unter dem Medikamentennamen Ritalin nur für aufmerksamkeitsgestörte Kinder zugelassen ist, aber viel häufiger bei Examensprüfungen für gute Noten sorgt - etwa in Universitäten, deren Prüflinge sich übers Internet versorgen. Von aller Welt wird der Konsum - ebenso wie der von Amphetaminen oder Wachmachern wie Modafinil - latent verteufelt. Wenn freilich ein Chirurg sie nimmt, um eine schwere OP perfekt ausführen zu können, dürften sich die Bedenken in Grenzen halten.

Ethische Grenzgänge Aber der Mensch wäre nicht der Mensch, also ein gelegentlich überkreatives Wesen, wenn er nicht auch mit ethischen Grenzübertritten liebäugelte. Das hat er immer getan, denn das Gehirn erscheint uns als terra incognita, als unbekannte Welt, und ist deshalb von erhöhter Faszinationskraft. Es interessiert auch Professor Reinhard Merkel, den wir in Alpbach treffen. Er lehrt Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg und gilt - zumal als Mitglied des Deutschen Ethikrates - als international begehrter Fachmann für Fragen, ob und wie unsere Rechtsbegriffe auf Eingriffe am Gehirn anzuwenden sind. Diese Fragen können im Alltag unter Umständen sehr konkret werden. Zum Beispiel diese:

Einen Verbrecher operieren? Darf ein Neurochirurg einen Sexualstraftäter operieren, um dessen kriminelle Gelüste auszuschalten, damit er nach verbüßter Strafe als Geheilter der Sicherungsverwahrung entgeht? Darf ein Richter die Operation anordnen? Oder darf der Täter den Arzt gar darum bitten?

Oder diese: Ein Musiker kann im Orchester kaum noch mitspielen, weil ihn ein Zittern der Bogenhand extrem hindert. Es tritt freilich nur auf, wenn er die Geige hält, aber nie im Alltag. Darf sein Dirigent eine Operation vorschlagen, wenn alle anderen Mittel versagen?

Oder diese: Ein Student zeigt sich unfähig, das Chinesische zu lernen, wird aber vom späteren Arbeitgeber nach China geschickt. Darf ihm ein Neurochirurg einen Chip mit dem Chinesisch-Wortschatz implantieren, wenn das machbar wäre? Und wenn es die Firma zahlt?

Letztlich läuft die Debatte - so kurios, abgedreht oder gar skurril sie scheint - auf eine zentrale Frage hinaus: Darf der Mensch wollen, was er kann? Darf medizinische Kompetenz auch in Bereichen angewendet werden, für die es keine ärztliche Diagnose, sondern nur ein unmittelbar menschliches Bedürfnis gibt, ohne dass man von einer "Krankheit" reden müsste?

Merkel plädiert dafür, diese Fragen nicht automatisch in die Sphäre der Strafwürdigkeit zu stellen. Er ist sicher, dass über wichtige Grenzen ohnedies Einigkeit besteht: "Manche der jedenfalls künftig verfügbaren Enhancements geistiger Eigenschaften mögen trotz Einwilligung verwerflich sein. Und die allermeisten, die ohne Einwilligung erfolgen, sind es ohnehin", sagt Merkel. "Aber wir müssen uns gut überlegen, wie radikal wir zu früh eine strafrechtliche Grenze ziehen. Sie müsste dann jedem Einzelfall standhalten, der eintreten kann, ohne dass wir ihn uns jetzt vorstellen können." Das wäre erst recht gefährlich.

Skepsis des Neurochirurgen Neurochirurgen ihrerseits würden in solchen Grenz-Fragen erst alle (eigenen und fremden) Vorbehalte klären, bevor sie sich einem Patienten etwa mit der Tiefenhirnstimulation nähern. Professor Jan Vesper vom Universitätsklinikum Düsseldorf ahnt: "Mit der Tiefenhirnstimulation wird man viel machen können, vielleicht noch mehr mit optogenetischen Verfahren, bei denen wir etwa ein Virus mit einem Eiweiß gezielt ins Gehirn schmuggeln, um es dann per Licht zu aktivieren und das Verhalten der modifizierten Zellen zu kontrollieren." Zugleich zieht er aus medizinischer und ethischer Verantwortlichkeit eine Linie: "Ich würde niemanden operieren, bei dem wir nicht auf breiter ärztlicher Basis und mit einer Ethikkommission Konsens erzielt haben. Nie würde der Impuls zu einer solchen Operation vom Neurochirurgen ausgehen, nur weil er den Eingriff für machbar hält." Und selbstverständlich müsse ein solcher Eingriff in eine kontrollierte Studie gebettet sein.

Die wahre Persönlichkeit In der landläufigen Diskussion über Neuro-Enhancements wird mit der Gefahr der Persönlichkeitsveränderung argumentiert. Merkel warnt wiederum vor vorschnellen Folgerungen und hat ein Gegenbeispiel parat: "In England gibt es den berühmten Fall des ehedem untherapierbaren Verbrechers Tommy McHugh, der eine kleinere Gehirnblutung erlitt. Sie ging aber nicht böse für ihn aus, im Gegenteil: Sie veränderte ihn massiv, er verlor seine gewalttätigen Dispositionen und wurde ein manisch produzierender Künstler, der malt, bildhauert und schreibt." Es steht für alle Fachkundigen außer Zweifel, dass diese Veränderung mit der Hirnblutung zu tun hat. "Dieser Mann sagt: Erst jetzt bin ich mein wahres und authentisches Selbst. Der Kriminelle in mir - das war nicht ich." Zwar ist eine Hirnblutung kein Eingriff, aber das Beispiel zeigt doch, dass über Gehirn, Identität und deren Veränderbarkeit nicht vorschnell restriktiv entschieden werden sollte.

Merkel resümiert: Das Strafgesetzbuch sollte nur befragt werden, wenn jemand "die mentale Selbstbestimmung einer anderen Person schwerwiegend beeinträchtigt, indem er pharmakologisch, chirurgisch, neurostimulierend, gentechnisch, biologisch oder chemisch direkt auf das Gehirn der anderen Person einwirkt und dadurch deren gegenwärtige oder künftige mentale Funktionen nicht nur unerheblich verändert". Damit werde zum Beispiel verhindert, dass "Eltern stellvertretend in tiefgreifende mentale Enhancements an ihren Kindern einwilligen können".

Über all dies müsse lang beraten werden. Die Juristen, findet Merkel, sollten sich vorerst zügeln: "Ein liberales Strafrecht sollte selbst gespenstische Anmutungen gegenüber der technologischen Evolution des Menschen nicht unbesehen zum Anlass nehmen, sich für zuständig zu halten." Die Botschaft von Alpbach: Macht euch klug, bevor ihr handelt, plant und verbietet!

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