Licht kann Nervenzellen steuern

Bonn · Eine neue Methode hebt die Gehirnforschung auf ein anderes Niveau. Die Forscher können Nervenzellen mit Licht an- und ausschalten. Der Berliner Biologe Peter Hegemann gehört zu den Vätern des Verfahrens.

Eine Gruppe deutscher Wissenschaftler hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sie Nervenzellen des Gehirns ausschalten kann. Der winzige Schalter ist ein Protein in der Wand der Neuronen, das auf Licht reagiert. Werden die Zellen mit dem Licht in der richtigen Farbe beleuchtet, verringern sie ihre Aktivität.

"Wir haben einen Schalter umgebaut, den wir schon kannten", erklärt der Biophysiker Peter Hegemann von der Berliner Humboldt-Universität, "in seiner bisherigen Funktion hat er die Nervenzellen eingeschaltet." Für die Forscher aus Hamburg, Berlin und Karlsruhe war es eine große Überraschung, dass eine kleine Veränderung in der Struktur der lichtempfindlichen Proteine ausreicht, um deren Funktion umzukehren. Jetzt ist das Werkzeug komplett, das Neurowissenschaftlern neue Möglichkeiten zur Untersuchung des Gehirns liefert. Sie können bestimmte Arten von Neuronen auswählen, diese nach Belieben an- und ausschalten und die Folgen beobachten.

Die Methode heißt Optogenetik und elektrisiert seit ihrer Entdeckung vor zwölf Jahren weltweit die Wissenschaft, weil sie vergleichsweise einfach in der Handhabung ist. Mit Hilfe eines Virus, der üblicherweise Erkältungskrankheiten überträgt, schleusen die Forscher ein Gen in die Nervenzellen ein, das den Code für das Schalterprotein beinhaltet. Die Zelle beginnt mit dessen Produktion und fügt das Protein in die Zellwand ein. Bei Licht öffnet der Schalter dann einen Ionenkanal, durch den geladene Teilchen fließen: Je nach Schaltertyp löst das den elektrischen Impuls aus, mit dem sich Neuronen im Gehirn verständigen - oder es lässt die Aktivität erlöschen.

In der ersten Generation dieser Technik musste den Versuchstieren noch ein Lichtleiter ins Gehirn eingepflanzt werden. Mittlerweile sind die Schalter so empfindlich, dass Mäuse, Würmer und Fische den Licht-Impuls auch durch die Haut empfangen und sich normal bewegen können.

Peter Hegemann ist kein Neurowissenschaftler, und trotzdem darf man ihn als den Vater des neuen Forschungsgebiets bezeichnen. Das war nicht abzusehen: Der Biophysiker untersuchte damals die Chlamydomonas, eine Grünalge, für die sich niemand so recht interessierte. Dabei entdeckte er die Kanal-Rhodopsine, so nennen die Wissenschaftler die Proteine, die lichtgesteuert Ionenkanäle öffnen. Hegemann erkannte ihr Potential, suchte nach dem genetischen Code für ihre Produktion, ermittelte die Struktur und ließ ihr Verhalten mit Computern simulieren. Jeder Schritt brachte mehr Wissenschaftler in das Projekt. Als 2005 der amerikanische Neurologe Karl Deisseroth die Kanal-Rhodopsine erstmals in Nervenzellen einbaute und diese mit Licht anregen konnte, war der Durchbruch geschafft.

Seitdem gibt es jeden Monat neue Erfolge aus der Optogenetik, berichtete Hegemann. Vielleicht geben die Kanal-Rhodopsine blinden Menschen die Fähigkeit zurück, wenigstens Hell und Dunkel zu erkennen. Alexander Gottschalk von der Uni Frankfurt hat gleich mehrere Lichtschalter in die Bewegungsneuronen eines Fadenwurms eingeschleust. Je nach Farbe des Lichts bewegt sich der Wurm vorwärts oder rückwärts, entspannt sich oder rollt sich auf.

Besonders faszinierend sind die Experimente, in denen die Forscher die Oberhand über Teile des Gehirns von Tieren übernehmen, weil sie dort gezielt ihre Schalter einbauen. "Wir konnten eindeutig zeigen, welche Zellen im Gehirn einer Maus am Suchtverhalten beteiligt sind", so Hegemann. Wenn diese Zellen durch Licht aktiviert wurden, konnte die Maus ihrem Suchtverhalten nicht widerstehen und schlug immer wieder gegen einen bestimmten Knopf, obwohl sie gleichzeitig dafür bestraft wurde. Ohne Licht handelte die Maus anders.

Die Optogenetik biete die Chance, solche Zusammenhänge an lebenden Tieren zu untersuchen, sagt Hegemann. US-Forscher konnten mit Optogenetik das Angst-Verhalten einer Maus abschalten. Andere Forscher haben gezielt die Nervenzellen angeschaltet, die das Glückshormon Dopamin verwenden. Es gibt Untersuchungen, welche Gehirnzellen am Lernverhalten von Mäusen beteiligt sind oder wie ihr Sozialverhalten gesteuert wird. Die Ergebnisse dieser Studien sind meistens sehr überraschend und gehen weit über das hinaus, was Neurowissenschaftler bisher entdecken konnten.

Dennoch warnt Peter Hegemann vor Heilungsversprechen und dämpft die Hoffnung auf Therapien. Das Verständnis der Krankheiten des Gehirns sei dafür noch viel zu gering. "Der Fadenwurm hat nur 302 Gehirnzellen, und wir haben noch nicht genau verstanden, wie diese arbeiten", erläutert Hegemann.

Ein Mäusegehirn besitzt schon 75 Millionen Nervenzellen und ist damit im Vergleich zum Menschen einfach. Zudem könnte die Optogenetik eine alte Debatte der Hirnforschung erwecken. Sind Angst oder Sozialverhalten das Ergebnis von freiem Willen und dem, was wir gern Bewusstsein nennen? Oder sind sie lediglich das Ergebnis von überaktiven Nervenzellen des Gehirns?

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort