Peking war leichter zu erreichen als Ku-Damm

Eine unglaubliche Reise- und Fluchtgeschichte aus der späten DDR

"Die verbotene Reise", das sind mindestens drei Bücher in einem: ein Abenteuerroman, eine Liebesgeschichte und eine politisches Analyse. Vor allem aber ist es eine faszinierende Beschreibung einer Zeit, die erst knapp 25 Jahre her ist und uns schon fern vorkommt. Denn diese Geschichte einer abenteuerlichen Flucht über die Mongolei nach Peking spielt in den letzten Jahren der DDR, als niemand ahnen konnte, dass die Mauer nicht mehr lange steht und die Herrscher in Ost-Berlin penibel jeden Schritt ihrer Bürger kontrollierten. Doch der scheinbar allwissenden Überwachungsstaat war nicht perfekt genug, wie das Beispiel des Biologiestudenten Jens und seiner Freundin Marie zeigt.

Dem Journalisten Peter Wensierski ist es zu verdanken, dass diese ebenso unglaubliche wie rührende Episode ans Licht gekommen ist. So wunderbar und in einer einfühlsamen Sprache führt der Autor seine Leser zurück in das Ost-Berlin der späten 1980er-Jahre. Die zerfallenden Häuser an der Schönhauser Allee, die Briketthaufen auf dem Gehweg, der Gestank von Braunkohleheizung und von Trabimotoren, der Hauswart und das Besucherbuch, die Sperrstunde für Westbesucher um zwei Uhr nachts. Alles dies waren die äußeren Zeichen eines Landes im Niedergang. Über allem standen die Unfreiheit und der Zwang, dem sich selbst Studenten unterwerfen mussten. In diesem System waren Jens und Marie gefangen. Sie werden im Buch nur mit ihren Vornamen genannt. Es ist eine Welt in der Welt. Viel ist schon geschrieben worden über die kleinen Fluchten der DDR-Bürger aus ihrem reglementierten Alltag. Hier wird gezeigt, wie sich zwei junge Leute abkapseln, nach außen hin noch den Schein als Studenten wahren und insgeheim ihre große Reise planen. Spannend schildert Wensierski, wie gegen Jens wegen ungenügender Leistungen fürs Kollektiv das Exmatrikulationsverfahren läuft. Unterdessen fälscht er eine Einladung eines mongolischen Bergsteigervereins, und dieses Papier verschafft den beiden jungen Leuten ein Visum für die Mongolei und zwei Reisepässe der DDR. Dieses Dokument bekamen eigentlich nur Rentner oder "150-Prozentige".

Auch die Reisebeschreibung ist für Leser, die die Länder im damaligen Ostblock nie wirklich erlebt haben, eine weitere Überraschung: Jens und Marie reisen mit einfachen Mitteln im Zug, werden von Flugzeugen mitgenommen, brauchen fast kein Geld und genießen eine herzliche Gastfreundschaft. In den grenzenlosen Weiten der Mongolei kommt ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit auf. Bei Jens reift der Wunsch, gar nicht mehr in die DDR zurück zu fahren. Aber nur bei Jens. Die Schilderung dieses inneren Kampfes der beiden ist hochatmosphärisch. Für die Beschreibung der entscheidenden Momente vor der bundesdeutschen Botschaft in Peking wählt Wensierski sogar das Präsens. Hier und jetzt soll das heißen, was nun? Jens geht, Marie bleibt - und reist mit dem Zug zurück nach Ost-Berlin.

"Es gibt Abenteuer des Herzens und der Seele, die man nur erleben kann, wenn man fortgeht." Dieser kluge Satz steht in diesem Buch. Er könnte auch für alles stehen, was Peter Wensierski so behutsam gerade rechtzeitig vor dem 25. Jahrestag des Mauerfalls über Jens und Marie und ihre Geschichte geschrieben hat. Eine ergreifende Erinnerung an eine ferne Zeit, als Peking für Ost-Berliner einfacher zu erreichen war als der Kurfürstendamm.

(RP)
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