Abgehört Großartig: das neue Album von The Notwist

Düsseldorf · Man müsste mal eine Fotoserie machen, die verschiedene Menschen beim Hören einer Platte von The Notwist zeigt. Die Gesichter wären jeweils in Nahaufnahme zu sehen, und dadurch würde deutlich, dass die Leute allesamt lächeln, und zwar so, wie man nur lächelt, wenn einem etwas Schönes passiert, wenn man etwa einen Kuss von einer netten Person bekommt oder im Sommerurlaub von der Sonne geweckt wird oder sich daran erinnert, wie das damals war, als man nach "Zurück in die Zukunft" aus dem Kino kam.

 Neue Platte: The Notwist.

Neue Platte: The Notwist.

Foto: Jon Bergamm

Das größte Album der bayerischen Band The Notwist, die einst mit Punk begann, allmählich die Gitarren zähmte und sie schließlich mit der Elektronik verlobte, ist in dieser Hinsicht ganz sicher "Neon Golden" aus dem Jahr 2002. Man höre nur noch einmal "Pilot" und "Pick Up The Phone", und man wird feststellen, dass Pop aus Deutschland in den vergangenen 20 Jahren nie weltläufiger geklungen hat. Oder das wunderbare "Consequence", das schwerelos zu sein scheint und das sich als idealer Soundtrack für eine Filmszene anbietet, in der zwei beste Freunde sich nach einer unvergesslich durchfeierten Nacht verabschieden, weil der eine für lange Zeit fortgeht, der andere aber hierbleibt. "Die deutschen Radiohead", sagen sie in den USA über The Notwist; auch dort hat sich "Neon Golden" gut verkauft.

Heute erscheint also das neue Album der Gruppe, und "Close To The Glass" ist zwar nicht so geschlossen, so vollendet wie "Neon Golden", aber es ist genauso gut. Das sind nun im Grunde keine Songs mehr, sondern Collagen. Über den Gitarren liegt Dunst, der Bass brummt zufrieden vor sich hin, die Frickelgeräusche aus dem Laptop wehen sacht vorüber, der Beat klopft erst mal an, bevor er zur Sache kommt. Und über dieser Bastelarbeit, die man auch nach einigen Durchgängen nicht vollständig erkundet hat, liegt die Stimme von Markus Acher, der sich immer noch anhört wie jemand, den man mal zum Singen überredet hat, der das inzwischen aber ganz gerne tut, wenn auch mit großer Vorsicht. Seine Worte tanzen wie Papierboote auf den Klangwellen, und das hat man selten, dass einer nur murmeln muss oder seufzen und man sich gleich aufgehoben vorkommt und geborgen.

Sechs Jahre haben Acher, sein Bruder Micha und Martin Gretschmann an der Platte in ihrem Studio in Weilheim gewerkelt. Was sich so schwebend anhört, vage, vorläufig und dem Ungefähren verhaftet, ist große Ingenieurskunst, da sitzt nichts an der falschen Stelle. Dabei klingen die Stücke nie bemüht, The Notwist arbeiten ihre Souveränität nie heraus, im Gegenteil. Sie verwischen die Strukturen absichtlich, sie geben dem Ganzen den Anschein von Unfertigkeit: Sie setzten kein Dach auf das Gewerk, damit es Luft zum Atmen hat.

Es gibt viele tolle Stellen auf "Close To The Glass": "Kong" ist purer Pop, in "Seven Hour Drive" ziehen sie die Gitarrenwände wieder hoch, zu "Run, Run, Run" könnte man sogar tanzen. Aber die allerbeste ist das Lied "They Follow Me" — ein derart zartgewebtes und fragiles Gespinst, dass man es eigentlich gar nicht mit anderen teilen möchte. "Follow me, when I'm without you", singt Markus Acher. Da ist man wieder sehr froh, dass es diese Band gibt. Man stellt sich vor, wie sich andere zur gleichen Zeit in diese Musik fallen lassen, dass sie jetzt sicher auch lächeln müssen. Nur wer sich sicher sein kann, dass er nicht einsam ist, kann das Alleinsein genießen. Mit The Notwist fühlt es sich sehr gut an.

(csi)
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