Tarifkonflikt Orchester in Streiklaune

Düsseldorf (RP). Die Deutsche Orchester-Vereinigung glaubt weiterhin, dass sie der Deutsche Bühnenverein von den Gehaltsentwicklungen des öffentlichen Dienstes abkoppeln wolle. Abermals droht sie mit Streik. Viele Musikfreunde haben dafür kein Verständnis mehr.

Neulich standen sie in Düsseldorf vor dem Opernhaus, die Leute mit den gelben Westen — nicht etwa Engel der Straße, sondern Künder der Stille. Es waren Orchestermusiker, die für Verständnis warben: Sie würden gleich streiken und hätten Gründe dafür. Sie wollen nicht schlechter bezahlt sein als andere Angestellte des öffentlichen Dienstes. Der Deutsche Bühnenverein hält dagegen, dass er bereits Lohnerhöhungen in Anlehnung an den öffentlichen Dienst zugestanden hat, und nennt die Streikwilligkeit "unverantwortlich". Tatsächlich geht es in dem Tarifkonflikt jetzt nur noch um Nuancen.

Trotzdem droht die Deutsche Orchester-Vereinigung (DOV) eine neue Streikwelle an; nach ergebnislosen Verhandlungen sei die befristete Aussetzung der Arbeitskämpfe ab sofort aufgehoben, hieß es. Die Tarifkommission der DOV hatte zuvor den Vorschlag des Deutschen Bühnenvereins zur Vergütungsanpassung für die Orchester als untauglich abgelehnt; der Arbeitgebertext lasse laut DOV weiterhin eine Abkopplung der Orchester vom öffentlichen Dienst zu.

Viele Musikfreunde haben für die Neigung der Musiker, auf sehr hohem Niveau zu klagen, kein Verständnis mehr. Sie glauben ohnedies, dass die in den Theater-Hierarchien alles andere als unterprivilegierten Orchestermusiker nun ein weiteres Mal zu arg und vor allem unverhältnismäßig in die Vollen langen. Unstrittig ist, dass Orchestermusiker im Verhältnis zu künstlerischen Kollegen in anderen Sparten ihrer Häuser sehr gut dastehen: faktisch unkündbar, mit günstigen Arbeitszeiten und exzellenten Bezügen. Sind sie wirklich so günstig und exzellent?

Die Antwort ist nicht einfach, denn der TVK (Tarifvertrag für Kulturorchester) ist komplex. Nehmen wir einen 30-jährigen Tutti-Geiger (sitzt weit hinten in der Gruppe, wenig Verantwortung), ledig, keine Kinder: In einem (kleineren) B-Orchester bekommt er etwa 2600, in einem (größeren) A-Orchester 2800 Euro. Hinzu kommen leichte Zuschläge (Instrumenten- und Frackgeld). In der Regel finanzieren die Musiker selbst die Anschaffung ihrer wertvollen Instrumente. Ein Solo-Bläser (etwa 1. Oboe) bekommt bei gleichem Familienstand schon einige hundert Euro mehr.

In einem B-Orchester bekommt ein 51-jähriger Solo-Bläser, verheiratet, zwei Kinder, knapp 4000 Euro; bei einem A-Orchester sind es einige hundert Euro mehr. Hierbei gibt es ortsübliche Schwankungen. Einige Musikerverträge werden separat ausgehandelt, etwa bei Musikern in Sonderstellungen (Konzertmeister, Solo-Cellist). Das Gehaltsgefüge der Berliner Philharmoniker ist dem allgemeinen Einblick weithin entzogen.

Vergleicht man die Gehälter der Orchestermusiker mit denen ihrer Sänger-, Schauspieler- oder Tänzerkollegen, so arbeiten diese — weil über den "NV Bühne"-Vertrag angestellt — auf wesentlich geringerem Gehaltsniveau und sind von Saison zu Saison kündbar. In der Tat empfinden es andere künstlerisch Beschäftigte an Opernhäusern als unkollegial, dass die Orchesterkollegen angesichts einer gespenstischen finanziellen Situation in manchen Städten unverdrossen und starr auf ihren Positionen beharren. Klar ist, dass bei steigenden Personalkosten und gleichbleibenden städtischen Zuschüssen Personaleinsparungen zu befürchten sind — auch im Orchester.

Was nun den seit langem schwelenden Generalverdacht betrifft, dass Orchestermusiker nicht nur sehr gut verdienen, sondern auch wenig arbeiten, so scheint abermals Differenzierung angezeigt. Einige haben sich in besseren Zeiten vertraglich ausbedungen, möglichst wenig arbeiten zu dürfen (solche Verträge werden heutzutage nicht mehr gewährt), und gehen in mancher Symphoniekonzert-Woche tatsächlich spazieren, weil ihr Instrument laut Partitur nicht gebraucht wird oder im Orchester doppelt besetzt ist — so ist das System. In gewissen Orchestergruppen kommt es hingegen regelmäßig zu einem hohen Aufkommen an Diensten; die Streicher sind davon in der Regel häufiger betroffen als die Bläser.

Wie sind diese dienstlichen Obliegenheit überhaupt geregelt? Eine Probe oder eine Aufführung ist ein Dienst; lange Opern (etwa von Wagner) sind zwei Dienste. Im Schnitt sind für Musiker acht Dienste pro Woche vorgesehen; manche kommen auf zehn (und bekommen dann in einem gewissen Zeitraum einen Ausgleich), manche arbeiten auch nur fünf Dienste. Maximal 64 Dienste in acht Wochen sind derzeit erlaubt. Trotzdem erscheint es unzulässig, die Musiker für unterbeschäftigt zu erklären. Sie selbst weisen stets und zu Recht darauf hin, dass sie in der dienstfreien Zeit üben, unterrichten (auch an Schulen), bei Chören spielen oder in anderen Orchestern aushelfen. Will unser kulturelles Gemeinwesen auf solche Nebenbetätigungen verzichten? Und Weihnachten ohne Orchester, das eine Mozart-Messe begleitet, ist schwer vorstellbar.

Insgesamt möchte man der DOV ein gewisses Augenmaß wünschen; es würde ihre Position stärken, nicht schwächen. Vor Weihnachten zu streiken wäre ohnedies eine ziemlich rabiate Maßnahme — und eine unkluge. Wer als potenzieller Besucher einmal im Jahr in die Oper zu "Carmen" geht und dann enttäuscht wird, kehrt womöglich nie wieder zurück.

(RP)
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