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"The Beatles. Tune In" Das endgültige Buch über die Beatles

Der britische Autor Mark Lewisohn schreibt an einer monumentalen Beatles-Biografie. Band eins hat 900 Seiten. Das Wunder: Jede ist lesenswert.

Das sind die besten Beatles-LPs
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Dieses Buch erzählt davon, wie es ist, jung zu sein. Und es erzählt davon, wie schön es sich anfühlt, jemanden zu finden, der genauso tickt wie man selbst, der dieselbe Musik mag und die gleichen Lederjacken. Es handelt von der Stadt Liverpool und von den vier Freunden John, Paul, George und Ringo, die ja auch ein bisschen unsere Freunde sind, obwohl die meisten nie einen von ihnen persönlich getroffen haben. Es ist das beste Buch, das je über die Beatles geschrieben wurde, eines der herrlichsten im Bereich der Popkulturgeschichte außerdem, und es handelt zu großen Teilen von uns und davon, wie wir wurden, wer wir sind.

"The Beatles. Tune in" heißt die monumentale Biografie, die auf drei Bände angelegt ist, und deren erster Teil nun als Taschenbuch vorliegt. Mark Lewisohn hat sie geschrieben, er ist wohl der einzige professionelle Beatles-Fan auf der Welt, und seit den 80er Jahren schreibt er detailfreudige und Vollständigkeit anstrebende Bücher über die Fab Four. Er arbeitete einst für Apple Records, die Plattenfirma der Beatles, er kennt alle und jeden, und nun sitzt er daheim und schreibt Tag um Tag die endgültige Geschichte der Beatles. Der erste Band erschien in England zunächst in einer sehr teuren Schmuckausgabe mit 1700 Seiten. Die gekürzte Taschenbuch-Version des englischen Textes kommt nun auch hierzulande in die Buchhandlungen, sie hat immer noch 900 Seiten, und wenn sie mit der Beschreibung des 5. Oktober 1962 enden, haben die Beatles gerade erst ihre Debüt-Single veröffentlicht, "Love Me Do" nämlich. Im Abstand von vier bis fünf Jahren sollen die nachfolgenden Bände erscheinen, und wahrscheinlich wird es dem Fan mit ihnen ergehen wie damals mit der DVD-Box "Anthology", die vor einiger Zeit den Werdegang der Beatles in 700 Minuten Filmmaterial ausbreitete: "Komm, eine halbe Stunde noch", sagte man abends zu sich selbst. Irgendwann graute der Morgen, und man saß immer noch da und schaute und staunte.

Die Frage ist natürlich, ob man das alles wissen muss und wissen will. Welche Fächer John Lennon nach seiner mit Ach und Krach geschafften Mittleren Reife im ersten Jahr an der Kunstschule in Liverpool belegte etwa. Es waren Perspektive, Einführung in die Architektur, ein bisschen Design, dazu Modellieren und Zeichnen nach dem lebenden Objekt. Es gehört auch Aktzeichnen dazu, und man kann sich vorstellen, worin John am besten war. Oder: Was er am ersten Tag auf dieser Schule trug. Er riss das Wappen vom alten Schulblazer und stellte den Kragen auf. Er zog eine Jeans dazu an, die er heimlich gekauft hatte. Und weil Jeans verpönt waren, trug er zunächst eine andere Hose darüber und zog sich erst an der Bushaltestelle um, wo er vor den Blicken seiner Tante Mimi sicher war. Will man das also wirklich alles wissen? Die Antwort lautet: Yeah, Yeah, Yeah.

Lewisohn schreibt bei aller Detailfreude kurzweilig und mit einem gutmütigen Ton, und obwohl es angesichts der Fülle absurd erscheinen mag, gelingt es ihm, den Stoff stringent in Form zu bringen. Er beleuchtet die Gesellschaft der Zeit, die Stimmung, und er erfährt von einer früheren Freundin Paul McCartneys, dass deren Eltern ihr verboten hatten, in der Öffentlichkeit über Musik zu sprechen. Das gezieme sich nicht. Und er erzählt, wie hart es auf St. Pauli zugegangen sein muss, als die Beatles dort 1960 ihr Engagement begannen. Ohne die Toilettenfrau Rosa Hoffmann hätten sie ihre Acht-Stunden-Schichten auf der Bühne nicht abreißen können: Sie hatte immer ein gut gefülltes Glas vor sich stehen, und die Beatles dachten zunächst, da wäre Traubenzucker drin, aber es waren Aufputschmittel, 50 Pfennig das Stück. Alle griffen arglos zu. Wie Meditationen wirken in diesem brutalen und trubeligen Alltag die Treffen mit der frühen Verbündeten Astrid Kirchherr in deren ruhiger Wohnung: "Weiße-Servietten-Mahlzeiten" nannten die Beatles die Einladungen dort.

Die Kindheit eines jeden Beatle wird unabhängig von denen der anderen erzählt, und das macht durchaus Sinn, weil deutlich wird, wie viele Gemeinsamkeiten sie hatten. Es war die Zeit, als der Rock 'n' Roll aus Amerika kam, und großartig ist die Episode, in der George Harrison im Fernsehen einen auftritt von Eddie Cochran erlebte. Der wischte sich über das Haar, und dabei sprach er zu einem weiblichen Fan die großen Worte: "Hi, Honey". Das fand George gut, das wollte er auch. Bei Ringo war es ganz ähnlich. Er sah, wie der Sänger Johnny Ray Autogrammkarten aus dem Fenster warf und Fans sie auffingen. Da habe er gedacht: "So will ich leben."

Überhaupt George und Ringo. George war nämlich gar nicht der schüchterne rotwangige Schweiger, als den ihn die Beatles-Biografen zumeist hinstellen. Er habe oft das Wort geführt, den Kleidungsstil vorgelebt, den dann alle imitierten, und er habe Ringo in die Band geholt. Ringo wiederum ist laut Lewisohn der Allertollste gewesen, ein cooler Hund, lässig, sexy und durchs Ohr gekniffen, und sein Vorteil war, dass der als fünfter Beatle in die Historie eingegangene Pete Best derartig schlecht Schlagzeug gespielt haben muss, dass der mittelbegabte Ringo dagegen wie der Heilsbringer gewirkt hat.

Im Grunde ist das Sachbuch "Tune In" also ein Roman, und darin schildert Lewisohn, wie die Lieder entstanden, die uns heute noch bewegen. Die Lieder, die so weit verbreitet sind, dass man kaum einen Menschenkopf auf der Welt finden dürfte, in dem keine Noten und Verszeilen von Lennon/McCartney herumschwirren. Entstanden sind sie aus Freundschaft, Sehnsucht, durch Begabung, Disziplin und ein bisschen auch Zufall.

Es ist verblüffend, wie vier Jungs zusammenfanden, die Ähnliches erlebt und durchgemacht hatten. Herzzerreißend ist die Szene, in der Johns Eltern den kleinen Sohn fragen, bei wem er bleiben möchte, wenn sie sich nun trennten. John entscheidet sich für den Vater, und als die Muter geht, wird er panisch und läuft ihr hinterher. Seinen Vater sieht er erst wieder, als er berühmt ist, und aufgewachsen ist er bei seiner Tante. Auch Paul McCartney wuchs ohne Mutter auf, sie starb, als er 13 war.

Lewisohn hat mit Hunderten Weggefährten gesprochen, jede Aussage ist zumeist durch mehrere Fußnoten belegt, an vieles wird sich selbst Paul McCartney nicht erinnern. Manchmal überblättert man eine Seite, wenn er etwa über das britische Finanzwesen vor 1971 allzu verwinkelt doziert. Aber ansonsten ist dieses obsessive Buch ein Traum. Sein letztes Wort lautet: "Intermission", Pause also.

Es klingt wie ein Versprechen.

(hols)
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