Der Wischmopp als Lebensretter

Aus dem Chaos ans Licht: David O. Russells Film "Joy" mit Jennifer Lawrence.

"Ich brauche keinen Prinzen" sagt das blonde Mädchen entschieden. Ihr kleines Königreich hat sie sich selbst mit Papier, Schere und Klebstoff erschaffen und sieht keinen Grund, die Regentschaft an einen dahergelaufenen Edelmann abzugeben. Schon als Kind hatte Joy (Jennifer Lawrence) ihre eigenen Vorstellungen und Träume, wie ihr Leben aussehen sollte.

Mehr als zwanzig Jahre später ist davon wenig übrig geblieben. Mit ihrer zerstrittenen Familie wohnt die junge Mutter von zwei Kindern in einem maroden Haus auf Long Island. Ihr Vater (Robert De Niro) hat die Familie schon vor langer Zeit wegen einer Anderen verlassen, und nun steht er erneut vor Joys Tür, weil seine derzeitige Flamme ihn rausgeschmissen hat. Der Alte wird ins Souterrain verfrachtet, wo auch Joys Ex-Mann (Edgar Ramirez) wohnt, der ein liebevoller Mensch und beseelter Sänger ist, aber als Ehemann nicht taugte. Joys Mutter (Virginia Madsen) verlässt seit der Trennung kaum noch ihr Zimmer, wo sie vor dem Fernseher in Seifenopernwelten versinkt. Das spärliche Einkommen, mit dem Joy die Sippschaft durchbringt, erwirtschaftet sie bei einer Billig-Airline.

Joys Alltag ist die reine Verantwortungshölle. Aber dann spielt ihr das Chaos eine Idee zu. Als sie den Wischmopp auswringt, nachdem ein paar Gläser Rotwein zerbrochen sind, stecken die Scherben in ihren Handflächen. Auf dem Krankenbett lässt sie sich Papier und Stifte bringen und entwirft einen Mopp, der sich mit einem Schiebemechanismus auswringen lässt. Von der cleveren Erfindung bis zur erfolgreichen Vermarktung des Produktes ist es indes ein weiter Weg.

Vordergründig ist David O. Russells neuer Film "Joy" eine typisch amerikanische Erfolgsgeschichte. Die Mär, dass man es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, gehört zu den wichtigsten Gründungsmythen der US-Gesellschaft. Dass das System entgegen seinen Beteuerungen nicht für alle die gleichen Chancen bereithält, ist sicherlich keine neue Erkenntnis, aber in "Joy" wird sie noch einmal drastisch vor Augen geführt. Zwei Hypotheken auf ihr Haus und ein Privatkredit der geizigen neuen Freundin (Isabella Rossellini) des Vaters bilden das Startkapital. Immer wieder steht das Unternehmen vor dem Bankrott, auch weil Konkurrenten horrende Auslösesummen einfordern und Zulieferunternehmen ihr das Patent streitig machen wollen.

Lichtblick am Rand des Haifischbeckens ist der smarte Leiter eines neuen TV-Shopping-Kanals, Neil Walker (Bradley Cooper), der das Marktpotenzial von Joys Erfindung erkennt und seine Verkaufsshow wie ein Orchester dirigiert. Fast muss man befürchten, dass nun doch ein Prinz das Ruder übernimmt, aber Joy behält die Fäden selbst in der Hand.

Russell erzählt seine Geschichte in einer Mischung aus Märchen und Sitcom. Die fabelhafte Jennifer Lawrence stellt erneut ihre schauspielerische Bandbreite unter Beweis. Sie hält den manchmal holprig inszenierten Film kraftvoll zusammen.

(RP)
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