Das Leben des Berthold Beitz

Er hat während des Zweiten Weltkriegs hunderten von Juden das Leben gerettet: der einstige Krupp-Generalbevollmächtigte Berthold Beitz (97). Über ihn erscheint jetzt eine spannende Biographie. Sie erzählt das Leben eines mutigen Menschen, der allein und unbeirrt seinem Gewissen folgte.

Warum nur hat man bei diesem Buch fortwährend das Gefühl, im Kino zu sein? Weil man vielleicht kaum glauben kann, dass das, was da geschrieben steht, Wirklichkeit sein soll – und keine Hollywood-Geschichtsschreibung im Format von "Schindlers Liste". In dieser Neuerscheinung aber heißt Schindler Beitz, Berthold Beitz, Herr der Kruppschen Ringe, ein Top Dog der Wirtschaft und mit 97 letzter Patriarch der deutschen Schwerindustrie; aber eben auch ein "Gerechter unter den Völkern", Israels höchste Ehrung für einen Nicht-Juden. Das ist die tiefe Anerkennung für einen Mann, der 1942 im ostpolnischen Boryslaw gemeinsam mit seiner Ehefrau Else hunderte von Juden vor der Deportation bewahrt und ihnen damit das Leben gerettet hat.

Das neue Buch "Berthold Beitz" ist kein Kino, kein Roman. Es ist "nur" seine Biographie, die spannende Beschreibung einer wahrhaft ehrfürchtig machenden Lebensleistung.

Was sonst soll man denken von einem Mann, der als 28-jähriger Industriekaufmann am Bahnhof von Boryslaw in Galizien steht und die betrunkenen SS-Leute anweist, die Waggons wieder zu öffnen und die Juden darin freizulassen? Die seien unabkömmlich für die Produktion, behauptet der gut aussehende Mann, sehr selbstsicher und fast unangreifbar. Damals habe er "so etwas wie eine große innere Sicherheit" gespürt, wird er später sagen. "Wenn ich Angst gehabt hätte, wäre ich verloren gewesen." Auf diesem finsteren galizischen Bahnhof wird ein Mann zur Lichtgestalt, zum Lebensretter. Überlebende sagen später, dass es ihnen inmitten der apokalyptischen Szenerie vorgekommen sei, als ob "ein Engel plötzlich in die Hölle gekommen ist".

Ein Engel ohne Furcht, der auch manche Juden retten kann, die nicht seinem Betrieb angehören, die also nicht jenes Erdöl fördern, das deutsche Panzer für den vermeintlichen Endsieg rollen lässt. Keine Frage, die Karpathen-Öl-AG ist kriegswichtig und ihr Angestellter Beitz in einer machtvollen Position. Das ändert sich erst, als die Front im Osten zusammenbricht und der Vernichtungswille das Handeln der Nazis zu diktieren beginnt. Und so wird Beitz Ende 1942 denunziert; er "begünstige" Juden, heißt es. Man lädt ihn vor zur Gestapo nach Breslau; doch er hat Riesenglück: Ausgerechnet ein alter Schulfreund soll ihn verhören, der Beitz pro forma drei Tage ins Gefängnis sperrt und ihn dann wieder nach Boryslaw entlässt.

Beitz wird später von seinen verschiedenen Rettungsaktionen kaum jemandem etwas erzählen. Nur eine Geschichte geht ihm nicht aus dem Sinn. Das ist jene von der jungen Frau, die er aus dem Waggon holen kann, deren alte Mutter aber ein SS-Mann nicht gehen lässt. Und wie die junge Frau dann zu Beitz geht und sagt: "Ist es erlaubt, Herr Direktor, dann gehe ich auch zurück." Als er 50 Jahre später davon in Yad Vashem erzählt, vermag er die Tränen nicht länger zurückzuhalten. All das wird Beitz nicht mehr vergessen, auch nicht als Generalbevollmächtiger von Krupp 1953 und späterer Vorsitzender der Krupp-Stiftung. Im Gegenteil: Er bewirkt, dass Krupp – einst Synonym für Krieg und Kanonen – 1959 das erste deutsche Unternehmen ist, das freiwillig eine Wiedergutmachung an jüdische KZ-Häftlinge zahlt. Und schon in den 50er Jahren – mitten im Kalten Krieg – reist Beitz nach Warschau und Moskau. Sicher, er macht dort Geschäfte, aber er hat auch die Versöhnung mit den früheren Feinden im Sinn. Dieses Engagement trägt ihm das Misstrauen von Konrad Adenauer ein.

Aber Beitz will gar kein Politiker sein, auch kein großer Netzwerker. Der Historiker und Journalist Joachim Käppner beschreibt ihn in seinem Buch als Einzelgänger und eigenständigen Denker, der seine Kraft aus einer inneren Freiheit bezieht und sich in einer moralischen Pflicht sieht. Dieser Beitz wird auch den Krupp-Konzern retten, als er 1966 den ökonomisch wenig geneigten Arndt von Bohlen und Halbach zum Erbverzicht überredet – freilich wird dies dem Spross der Krupp-Dynastie mit einer jährlichen Apanage in Höhe von zwei Millionen Mark vergolten.

Als jedoch 1987 Kruppianer aus Rheinhausen zur Villa Hügel ziehen und ein Feuer im Park entzünden, bleibt er hart. Beitz hat beschlossen, das Werk zu schließen. Und dabei bleibt es.

Bei vielen großen Entscheidungen hat sich Beitz gefragt, wie Alfried Krupp wohl gehandelt hätte. Und oft glaubt er sich mit dem alten Kruppschen Herrscher einer Meinung. Diesmal jedoch nicht: "Nein", sagt Beitz, "Alfried Krupp hätte der Schließung Rheinhausens nicht zugestimmt."

Diese Biographie ist ein spannendes Buch aus der Geschichte Deutschlands. Davon gibt es etliche. Es beschreibt präzise die Zeitgeister dieses Landes. Davon gibt es manche Werke. Schließlich erzählt das Buch von einem Mann, der ein Beispiel für alle gibt, indem er nur seinem Gewissen folgt und danach unbeirrt handelt. Davon gibt es nur ganz wenige.

(Rheinische Post)
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