Vormarsch der Online-Riesen Der Wandel des Buchhandels

Frankfurt/M. · Immer mehr Menschen kaufen ihre Bücher bei Online-Buchhändlern. Noch wird die Mehrheit des Gesamtumsatzes zwar im klassischen, stationären Buchhandel erzielt, doch dies wird sich bald ändern. Das Buch ist mittlerweile das populärste Produkt im Netz.

 Der klassische Buchhandel büßt an Umsatz ein.

Der klassische Buchhandel büßt an Umsatz ein.

Foto: Johannes Bornewasser

Michael Krüger ist kein Mann reißerischer Worte. Darum durfte man aufmerken, als der langjährige Chef des Münchener Hanser-Verlags jüngst zur Zukunft der Buchbranche verlauten ließ: "In den nächsten Jahren bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Branche erlebt eine Umwälzung, wie sie noch keiner gesehen hat."

Und als erstes scheint davon der Handel berührt zu werden — oder mit den unmissverständlichen Worten des Philosophen Richard David Precht gesprochen: "Amazon wird alle Buchläden töten, noch bevor sich das E-Book durchgesetzt hat."

Ist das so? Die aktuellen Zahlen sind für Hiobsbotschaften untauglich: Immerhin machte der Sortimentsbuchhandel zuletzt über 4,9 Milliarden Euro Umsatz und hielt damit noch 50,6 Prozent an allen Vertriebswegen. Dagegen scheint der Onlinehandel mit knapp 1,7 Milliarden Euro (17,1 Prozent) nahezu abgeschlagen. Die Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren spricht indes eine andere Sprache: Während der Online-Handel mit Büchern jedes Jahr ein bis zwei Prozent zulegt, verliert der stationäre Buchhandel rund drei Prozent jährlich.

Obgleich die Umsatzzahlen für 2011 noch nicht vorliegen, scheint es sicher zu sein, dass der klassische Buchhandel seine Mehrheit am Gesamtumsatz eingebüßt hat. Und Prognosen gehen davon aus, dass beide Vertriebswege sich bei der Aufteilung des Kuchens deutlich nähern werden. Marktanalytiker sehen das Sortiment dann nur noch bei 39 und die Onliner bei gut 23 Prozent.

Thalia kündigt Strategiewandel an

Deutliche Spuren hat das bei den großen Filialketten hinterlassen. Thalia etwa kündigte zum Jahresende eine Restrukturierung seiner fast 300 Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Verkaufsfläche soll künftig eingespart werden.

In Anbetracht der bedrohlich wachsenden Konkurrenz werden dem Buchhandel verschiedene Strategien unterbreitet. Die eine umschreibt im Grunde nur das Kerngeschäft, doch dass man in unsicheren Zeiten daran wieder erinnert, kann als Indiz für eine Vernachlässigung früherer Tugenden gelten: die Kundennähe und literarische Kompetenz.

Sehr in Mode gekommen ist die Aufstockung der Waren im Non-Book-Bereich. Aber: Das verlockende Zusatzgeschäft beispielsweise mit Briefpapier und Füllern, mit Notizbüchern und Grußkarten muss vom Kunden immer als eine "logische Sortimentserweiterung zum Buch akzeptiert werden", sagt Verkaufsberaterin Gaby Marx. "Buchaffine" Artikel sollten es also sein. Und sie dürfen auch nicht überhandnehmen. Als absolute Schmerzgrenze gilt ein Non-Book-Anteil von 30 Prozent.

Twitter als Chance

Ein weiteres Zauberwort ist die sogenannte Multichannel-Strategie. Der stationäre Buchhändler nutzt dabei weitere Vertriebswege und hat natürlich einen eigenen Online-Auftritt und einen eigenen Onlineshop. Doch dorthin muss der Kunde erst geführt werden. Wie schwierig das ist, zeigen erste Zahlen: Lediglich 1,4 Prozent des Gesamtumsatzes im Sortimentsbuchhandel werden nach Angaben des Kölner Instituts für Handelsforschung mit Internetbestellungen erzielt.

Welche Chancen es dennoch zu geben scheint, beweist jene in der Branche kursierende Anekdote: So wunderte sich ein Buchhändler, warum plötzlich sehr viele junge Leute seinen Laden aufsuchten und ein bestimmtes Manga-Buch verlangten. Des Rätsels Lösung: Der Lehrling hatte am Tag zuvor diesen Titel als Buchtipp getwittert.

Die Verlagerung des Buchhandels ist nur bedingt den Beteiligten anzulasten. So gehören Bücher schon als Ware zu den populärsten Produkten im Netz. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat ermittelt, dass über zwölf Millionen Bundesbürger ihre Literatur mittlerweile übers Internet beziehen. Damit hat jeder dritte Buchkäufer schon einen Online-Shop betreten.

Ein neues, kurioserweise aber analoges Kapitel hat in der Buchhandelsgeschichte jetzt Amazon aufgeschlagen. Unter dem Namen "New Harvest" wird der Online-Händler jetzt selbst ein Buchverlagshaus werden. Die erste Reaktionen daraufhin aus Amerika: Mehrere große Buchhandelsketten verkündeten, Amazons Bücher in ihren Läden nicht verkaufen zu wollen.

(RP/jre)
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