Essen Thomas Middelhoff - Vielflieger vor Gericht

Essen · Der frühere Arcandor-Chef muss sich in Essen wegen des Vorwurfs der Untreue verantworten. Der Prozess geht bis weit in den Sommer.

Essen: Thomas Middelhoff - Vielflieger vor Gericht
Foto: dpa, rwe tmk

Es ist das übliche Blitzlichtgewitter. Thomas Middelhoff kennt diese Prozedur, weil er sie schon hundertfach als Konzernlenker bei Bertelsmann, KarstadtQuelle und Arcandor erlebt hat. Nur dass er an diesem Morgen vor dem Saal 101 des Essener Landgerichts nicht als Manager im Mittelpunkt steht, sondern als Angeklagter. Die Staatsanwaltschaft Bochum beschuldigt ihn der Untreue zu Lasten von Arcandor. Middelhoff soll als Vorstandschef von dem 2009 in die Insolvenz gegangenen Handelskonzern auch Flüge haben zahlen lassen, die nichts mit Middelhoffs Chef-Tätigkeit zu tun gehabt hätten. Und eine private Festschrift zum 70. Geburtstag von Marc Wössner, dem Ex-Lenker von Bertelsmann, wo Middelhoff in den 80er Jahren in die Welt der Wirtschaft startete.

Den Schaden für Arcandor aus den Flügen beziffern die Ankläger auf 945 000 Euro. Die Zahl ist der Schlusspunkt hinter eine eineinhalbstündige Anklage-Verlesung, bei der die Staatsanwälte Helmut Fuhrmann und Daniela Friese ihre minutiöse Auflistung von Flugdetails mit Flug-, Rechnungs- und Zahlungsdaten an einigen Stellen mit öffentlichkeitswirksamen Zitaten aus Einladungen Middelhoffs nach St. Tropez garnieren. Dort begrüßte der Hausherr Middelhoff in seiner eigener Immobilie mehrmals seine Vorstandskollegen übers Wochenende, und zum Programm gehörten laut Einladungsschreiben Veranstaltungen wie "Faulenzen auf der Yacht", "Power-Shopping" oder das "Nachtleben in St. Tropez". Das soll den Datenwust zu den umstrittenen Flügen wohl etwas leichter verdaulich machen. Und weil das alles Arcandor bezahlt haben soll, gehört es zum Untreue-Vorwurf.

Private Vergnügungen an der Côte d'Azur - so etwas bedient das Bild mancher vom stets sonnengebräunten Lebemann Middelhoff. Doch der Manager will das nicht auf sich sitzen lassen. Man habe an diesen Wochenenden auch gearbeitet, sagt er später. Da hat er schon einen zweigeteilten Monolog über insgesamt zweieinhalb Stunden hinter sich. So lange am Stück hat Middelhoff vermutlich lange nicht mehr geredet, und selbst bei Bilanzpressekonferenzen und Hauptversammlungen hat sich der Konzernlenker von einst kürzer gefasst. Aber ihm geht es ja auch um nicht weniger als um seine Ehre und seinen Ruf als Manager.

Und natürlich darum, dass er nicht als Krimineller gelten will. Midelhoff bestreitet alle Vorwürfe. Alle Flüge, die nicht ohnehin auf Arcandor-Kosten hätten gehen sollen, habe die Großaktionärin Madeleine Schickedanz beglichen; er habe das Geld für etwa 200 solcher Flüge vorgestreckt. Anfangs sei er noch mit Linienmaschinen um die Welt gejettet, doch nach einer Bombendrohung gegen einen Flieger, in dem er gesessen habe, habe Frau Schickedanz entschieden, dass er künftig nur noch privat fliegen solle. Diesen Deal mit der Großaktionärin und den zuständigen Gremien bei KarstadtQuelle und Arcandor müsse die Staatsanwaltschaft eigentlich kennen, sagt Middelhoff gegen Ende des Prozesses. Zu dem Punkt will die Staatsanwaltschaft noch nichts sagen. Die Staatsanwaltschaft werfe ihm 48 Flüge vor, sagt Middelhoff außerdem, aber schon im Zivilprozess gegen ihn habe die zuständige Kammer nur zwei Flüge beanstandet. Und gegen dieses Urteil sei er in Berufung gegangen.

Die Kostenübernahme-Vereinbarung mit Quelle-Erbin Schickedanz ist für den Angeklagten indes nur ein Glied seiner Argumentationskette. Er spricht von Effizienzsteigerung dadurch, dass er bei einer Flugreise teils mehrere Termine wahrgenommen habe, von höheren Kosten, die entstanden wären, wenn er mit Linien- statt mit Chartermaschinen geflogen wäre, von ähnlichen Regelungen in anderen Konzernen, von seinem steten Bemühen, KarstadtQuelle und später Arcandor zu sanieren, was viele Flugreisen unumgänglich gemacht habe. "Mit mir hätte es die Planinsolvenz nicht gegeben", beteuert er. Den Satz hat er schon oft formuliert, genau wie den Vorwurf der Rufschädigung, die durch gezielte Indiskretionen entstanden sei. Middelhoff vermutet, ohne dass er es sagt, eine unheilige Allianz zwischen Staatsanwaltschaft, Arcandor-Insolvenzverwalter und Medien. Der Prozess geht am Montag weiter.

(RP)
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