EZB schickt Berlusconi Brandbrief

Jean-Claude Trichet und Mario Draghi, der scheidende und der künftige Chef der Europäischen Zentralbank, fordern Italien ultimativ auf, seine Wirtschafts- und Finanzpolitik in Ordnung zu bringen. Ökonomen befürworten die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms durch einen Kredithebel.

Berlin/Frankfurt Peinlich für Silvio Berlusconi: Die Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB) haben den italienischen Ministerpräsidenten in einem Brandbrief aufgefordert, schnellstmöglich wachstumsfördernde Reformen und mehr Sparprogramme auf den Weg zu bringen. Die angekündigten Maßnahmen reichten nicht aus, schrieben der scheidende und der künftige Chef der EZB, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi, Anfang August an Berlusconi. Unmittelbar nach Erhalt des Briefs startete Berlusconi eine Initiative für ein noch größeres Sparpaket. Ziel, wie von der EZB vorgegeben: das Defizit schon bis 2013 auf null zu drücken.

Der Vorgang ist einmalig: Ein Einschreiten der EZB-Spitze in dieser drastischen Form ist bisher aus keinem Mitgliedsland bekanntgeworden. Es entlarvt Berlusconi und Italien als besonders schweren Fall. Das Land verfügt zwar über eine starke Industrie, der private Sektor ist kaum verschuldet – trotzdem hat Italien mit 1900 Milliarden Euro den größten öffentlichen Schuldenberg angehäuft. Nötige Reformen sitzt Berlusconi seit Jahren aus. Die Folge: Italien ist heute die Achillesferse der Eurozone.

Sollte die drittgrößte Volkswirtschaft des Euroraums pleitegehen, wäre der gerade erst vom Bundestag und Bundesrat gebilligte Euro-Rettungsschirm EFSF zu klein. Fieberhaft arbeitet die EU-Kommission daher bereits daran, die Schlagkraft des EFSF weiter zu erhöhen. Dies soll durch einen sogenannten Kredithebel gelingen.

Unmissverständlich fordern Trichet und Draghi den italienischen Ministerpräsidenten auf, das Wachstum anzukurbeln, den Arbeitsmarkt zu entfesseln, das Rentensystem zu modernisieren und die Sparbemühungen zu verschärfen. "Wir vertrauen darauf, dass die italienische Regierung alle entsprechenden Maßnahmen umsetzt."

Die Vorbereitungen für einen EFSF-Kredithebel sind unterdessen weiter vorangeschritten, als es die Bundesregierung bisher eingestehen will. EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn arbeite bereits an verschiedenen Optionen, hieß es in Brüssel. Der Vorschlag, dem EFSF eine eigene Banklizenz zu erteilen, damit sich der Hilfsfonds bei der EZB wie andere Banken gegen Sicherheiten Geld leihen kann, sei auf Druck der Zentralbank aber wieder vom Tisch.

Bessere Chancen auf Umsetzung habe ein Vorschlag des Allianz-Vorstands Paul Achleitner: Der EFSF könnte eine Kreditausfallversicherung gründen. Damit könnten private Investoren, die Staatsanleihen von Wackelkandidaten in der Euro-Zone kaufen, bis zu 40 Prozent ihres Ausfallrisikos versichern.

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger bezeichnete den Kredithebel als alternativlos. "Der Rettungsschirm reicht nicht für Italien. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, dass die Euro-Staaten jetzt über einen Kredithebel für den EFSF nachdenken", sagte Bofinger unserer Zeitung. Auch der Chef des industrienahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, nannte den Hebel "unvermeidbar, wenn man davon ausgeht, dass auch Italien oder Spanien geholfen werden muss". Hüther hielt dies allerdings für noch nicht ausgemacht.

Über den Kredithebel bahnt sich in Berlin ein neuer Koalitionsstreit an. Der Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, hat die Korrektur des Euro-Rettungsschirms mittels Kredithebel strikt abgelehnt. "Das gesamte Haftungsvolumen des Rettungsschirms wurde klar vereinbart. Bei dieser Begrenzung muss es bleiben. Dies gilt auch für eine Erhöhung des EFSF-Volumens durch die Hintertür, etwa in Form von Kredithebeln über die Europäische Zentralbank", sagte Müller unserer Zeitung. Auch FDP-Chef Philipp Rösler hatte den Hebel abgelehnt.

Das Thema dürfte aber bereits am Montagabend unter den Euro-Finanzministern weiter diskutiert werden. Die Staats- und Regierungschefs der 17 Staaten wollen auf einem Sondergipfel am 18. Oktober weitere Schritte zur Euro-Rettung beschließen.

(RP)
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