Vorzeitiger Sieg für Ulrich "Rocky" wird zum Kirmesboxer

Berlin (sid). Eine Kultfigur wird zum Kirmesboxer: Das Comeback des 37 Jahre alten ehemaligen Welt- und Europameisters Graciano "Rocky" Rocchigiani endete zwar mit einem Punktsieg gegen den Kanadier Willard Lewis, doch die 5.000 Boxfans quittierten den Sieg ihres einstigen Helden im Berliner Estrel Convention Center mit einem gellenden Pfeifkonzert. Nach dem Kampf, den er mit deutlichen Konditionsmängeln mehr schlecht als recht über die Runden brachte, verschwand "Rocky" wort- und grußlos aus der Halle.

Es war ein Armutszeugnis, was der einst umjubelte Rocchigiani seinen Fans gegen den drei Kilo leichteren und boxerisch stark limitierten Cree-Indianer mit dem Furcht einflößenden Kämpfernamen "Roter Donnerfelsen" bot. Sekundiert vom ehemaligen Fußball- und Football-Profi Axel Kruse, der mit einer Sondergenehmigung in die Ringecke durfte, war Rocchigiani körperlich ausgelaugt und viel zu müde für den allgemein erwarteten K.o.-Sieg.

Peter Hanraths, Geschäftsführer der Hamburger Universum Box-Promotion versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten scheint: "Er muß selbst entscheiden, was er jetzt macht. Es gibt keine Absprachen über eine weitere Zusammenarbeit. Man wird sehen, wie er künftig in den Ranglisten eingestuft wird. Auf jeden Fall hat man ihm die Pause von neun Monaten und die fehlende Kampfpraxis deutlich angemerkt."

Dabei will "Rocky" gegen Dariusz Michalczewski oder den US-Amerikaner Virgil Hill in diesem Jahr noch einmal um eine WM kämpfen. "Tiger" Michalczewski, bei seiner Präsentation im Ring ebenfalls ausgepfiffen, rechnete schon mal gnadenlos mit seinem zweimaligen Herausforderer ab. "Den Namen Michalczewski darf er mit dieser Leistung nie wieder in den Mund nehmen. Der will doch nur noch abzocken, diese Typen haut man in der ersten Runde um." Immerhin kassierte "Rocky" für sein Comeback, das zur leidenschaftslosen Trainingseinheit verkam, eine Börse von rund 400.000 Mark.

Rocchigianis Uhr als Boxer ist abgelaufen. "Er hat den Berliner Profiboxsport 15 Jahre lang trotz seiner vielen Kapriolen und Ausraster hoch gehalten. Aber wenn er jetzt noch mal was will, muss er sich auf den Hosenboden setzen und Schulaufgaben machen. Er braucht Klarheit im Kopf, ob er boxen oder nur Geld scheffeln will", schätzte Henry Maskes Meistetrainer Manfred Wolke die Situation ein.

Wolke ist sicher, dass der 25 Jahre alte Thomas Ulrich als neuer Lokalmatador zur Wachablösung in Berlin bereit steht. Der Olympiadritte von Atlanta brachte in seinem 20. Profikampf mit seinem 20. Sieg Gabriel Hernandez aus der Dominikanischen Republik die zweite Niederlage in dessen 23. Kampf bei. Die erste hatte Hernandez im Mai 1999 in Düsseldorf gegen Weltmeister Sven Ottke kassiert.

Für Ulrich will Universum voraussichtlich noch zwei Aufbaukämpfe ansetzen, ehe es um einen Titel geht. Vorgesehen sind ein WM- oder EM-Kampf. "An Michalczewski reiche ich sicher noch nicht ran, aber ich freue mich, dass ich meine Fortschritte gegen einen ausgewiesenen Klassemann beweisen konnte. Das beflügelt mich bei der weiteren Arbeit", sagte der Schützling von Trainer Torsten Schmitz nach dem positiv ausgefallenen Quervergleich mit seinem langjährigen Amateur-Konkurrenten Ottke.

(RPO Archiv)
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